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Kleine Zeitung - 27.09.2009
Dekoration, Irritation
Neulich im (halb)öffentlichen Raum eines Wirtshauses.

Ein Gast begeistert sich vor einem dort ausgehängten Gemälde, das Schwärmen gipfelt im Satz: "Das ist eigentlich keine Kunst mehr. Das ist ja schon Dekoration!" Gesagt und gedacht als Steigerung.
Kunst im ungeschützten Raum ist eine heikle Sache. Tatsächlich verkommt sie leicht zur Dekoration, wird als Aufputz missbraucht, in Vermarktungsstrategien eingespannt. Es hat sich herumgesprochen, dass sich mit Kunst manches besser verkaufen lässt (auch an die öffentliche Hand).
Kunst im öffentlichen Raum, die durchwegs so stark ist, dass sie nicht Gefahr läuft, als Behübschung gedeutet zu werden, bietet derzeit der Grazer Stadtraum. Die Projekte "Utopie und Monument I" und "(out)" des steirischen herbsts sowie die schon länger laufende Kunstinfiltration "Imagineering" (www.zweintopf.net) rücken Kunst mit selbstbewusster Unaufdringlichkeit ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Intelligente Irritationen, die als Dekorationen deuten mag, wer will. Sie halten das aus.
Aber nicht nur im öffentlichen Raum gibt die bildende Kunst in diesem steirischen H(h)erbst besonders kräftige Zeichen. Kunsthaus und Neue Galerie prallvoll, nicht minder die diversen Kunstvereine und die Räume anderer Anbieter von zeitgenössischer Kunst. Neben der Quantität stimmt die Qualität. Fabelhaft die Vielfältigkeit des Angebots, auch die Mischung an Internationalem und Regionalem. Wer hier nichts findet, das seine Ansprüche befriedigt, findet es anderswo auch nicht. Sogar Wiener Zeitungen empfehlen die Reise nach Graz (und das will etwas heißen).
Dass dennoch nicht der Eindruck purer Beliebigkeit entsteht, sondern jener sinnvoller Zusammenhänge, des Ineinandergreifens von Themen und Inhalten, macht die Sache noch spannender. "Was macht eigentlich der Künstler als moralische Instanz?", fragt Mathias Grilj in der herbst-Schrift "herbst. Theorie zur Praxis". Im Gegensatz zu Grilj, der vom diesbezüglichen Bankrott schreibt, würde ich sagen: Er macht sich gar nicht so schlecht. Er geht möglicherweise zurückhaltender mit dem Zeigefinger um.

Walter Titz