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Der Standard - 22.09.2009
Kunst, die man nicht übersehen kann
In künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum liegen die Wurzeln des Steirischen Herbstes. Die Schau "Utopie und Monument" ist nur eine, mit der man heuer "nach draußen" geht.

Wenn ein Kunstschaffender möchte, dass jemand in Graz Kunst im öffentlichen Raum nicht sofort als solche erkennt, wird er nach mehr als 40 Jahren, in denen der Steirische Herbst immer wiederkehrt, vor eine Herausforderung gestellt. Diese Stadt ist so gewöhnt an Interventionen jeder Art, dass in besagter Jahreszeit oft der gegenteilige Effekt eintritt. Es kommt vor, dass hier auffällige Konstruktionen an simplen Baustellen von Passanten gleich einmal als "Sicher was vom Herbst!" eingestuft werden.
Die Kuratorin Sabine Breitwieser geht mit der großen Herbst-Ausstellung Utopie und Monument I (Teil zwei folgt 2010) genau dieser Tradition nach, und zwar nicht nur, indem sie mit Projekten und Arbeiten von Künstlern wie Michael Zinganel, David Maljkovic, Ayse Erkmen, Andreas Siekmann oder dem Duo Dolores Zinny und Juan Maidagan, die das Rathaus verhüllen werden, in den öffentlichen Raum geht - die Ausstellung hat auch Interventionen dieser Art zum Thema.
Sie ist eine Auseinandersetzung damit, wem dieser Raum, der zusehends vollgeramscht wird, eigentlich gehört. Womit wir bei der Frage wären, wer eigentlich "die" Öffentlichkeit ist. Das ist auch angesichts nicht enden wollender Diskussionen über Bettler oder Punks, die manchem ein Dorn im innerstädtischen Auge sind, ein brennendes Thema.

Denkmale und Denkanstöße
Gewidmet ist die Schau, deren Zentrum ein von der Kooperative für Darstellungspolitik gestalteter Pavillon auf dem Platz vor dem Bad zu Sonne ist, dem heuer verstorbenen Künstler Hartmut Skerbisch. Sein Lichterschwert , das im Steirischen Herbst 1992, zum Jubiläum der Entdeckung Amerikas, aufgestellt wurde, war vieles gleichzeitig: Ursprünglich als Kunstwerk auf Zeit gedacht, wurde es - direkt vor dem Eingang der Oper - im öffentlichen Raum platziert. Später, nachdem man dieses Innengerüst der Freiheitsstatue behalten wollte und es ein paar Meter versetzte, wurde es zu einer Art Denkmal, einem neuen Wahrzeichen der Stadt, das nur mehr Besuchern auffällt.
Dass man sich an Kunst im öffentlichen Raum so lange gewöhnt, bis sie aus dem Bewusstsein verschwindet, dafür gibt es in Graz einige Beispiele: Als Serge Spitzer im Steirischen Herbst 1985 seine Skulptur Brunnenwerk vor das Forum Stadtpark setzte, wollte er erreichen, "dass die Menschen auf eine Art über Dinge nachzudenken beginnen, wie sie es noch nie getan haben". Kunst, die nicht im geschützten Raum von Galerien und Museen steht, kann das freilich besser. Sie kann evozieren und provozieren. Damals kochten die Gemüter der FPÖ. Einen "rostigen Nagel" schimpfte man Spitzers Arbeit. Heute gehört die Skulptur in den Stadtpark wie die Bäume und Bänke, die sie umgeben. Ein Denkmal als Denkanstoß funktioniert eben nur eine Zeit lang.
Mehr als nur wortwörtlich wurde die Arbeit von Hans Haacke Und ihr habt doch gesiegt attackiert. Haacke verkleidete die Mariensäule am Eisernen Tor mit einem Obelisken, der jenem, der 1938, als Graz zur "Stadt der Volkserhebung" ernannt wurde, glich. Mit einem Unterschied: Rund um den Sockel waren die Zahlen der Nazi-Opfer aufgelistet. Die Skulptur wurde nach einer Woche von Neonazis durch einen Brandsatz zerstört. Haackes Arbeit ist eine von vielen internationalen Beispielen, die im Utopie und Monument- Pavillon dokumentiert sind.
Der Schatten der Nazi-Vergangenheit von Graz wurde noch einmal später Thema einer eindrucksvollen Intervention im Grazer Stadtbild. Markus Wilfling baute im Kulturhauptstadtjahr 2003 einen schwarzen Zwilling des Uhrturms neben das Grazer Wahrzeichen am Schlossberg. Über die Symbolik dürfte man sich wenig Gedanken gemacht haben, als man die Skulptur an ein Einkaufszentrum außerhalb von Graz verkaufte, wo sie ein Café beherbergt und im Advent mit Lichterketten geschmückt wird.
Heuer bespielt das Festival die Stadt mit zahlreichen Projekten: massiver den je. Annenviertel taufte der Kunstverein rotor die Gegend zwischen Annenstraße und Keplerstraße. Auch hier geht es um die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, wer sich in ihm behaupten kann und um die "Kunst des urbanen Handelns" dort, wo verschiedenste Bevölkerungsgruppen und ökonomische Interessen aufeinanderprallen, aber auch oft ganz gut miteinander leben.
Mit dem Projekt out transferieren junge serbische Künstler einen öffentlichen Diskurs zu Fragen über ihre eigene Identität kurzerhand von ihrer Heimat auf Grazer Plätze, da in Serbien der öffentliche Raum für Künstler fast nicht zugänglich gemacht wird.

Leuchtschriften auf dem Land
Einen größeren Raum, nämlich den der ganzen Steiermark, bespielt das mobile Projekt TextBild MMIX . Kuratiert wird es unter anderem von Werner Fenz und Agnes Altziebler. Mit einem Klein-Lkw werden Sätze verschiedener, fast ausschließlich steirischer Künstler mittels Leuchtschrift immer für nur einen Tag in einen Ort der Steiermark gebracht. Ein Projekt, das sich auf die Gegenwart bezieht - weswegen auch die aktuelle Jahreszahl in römischen Ziffern im Titel versteckt wird.

Ein Teil des Festivalzentrums ist übrigens dieses Jahr selbst eine riesige, begehbare Skulptur. Das Schauhaus von Michael Rieper und Irina Koerdt ist ein dem Orpheum frech vor die Nase gebautes Riesen-Regal, auf dem seine Macher alles ausprobierten, was man bei einem bleibenden Gebäude niemals dürfte. Wenn es abgetragen wird, bleibt die Erinnerung.


Colette M. Schmidt