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Kleine Zeitung - 25.09.2009
Spieleburg für kleine Erwachsene
Der steirische herbst lockte zu seiner Eröffnung gestern Abend in den "Tempel der Vernunft". Mit Philosophen, Nackten, Schuldnerberatern und Einbrecherkönigen.

Der Herrgott hat einen großen Tiergarten", pflegte Mutter immer nachsichtig über die wundersame Spezies Mensch zu sagen. Gestern Abend hatte man in Graz die illustre Wahl: Links das Zelt von Louis Knie jr. samt Lamas und Dromedaren, rechts die List-Halle, gebucht vom steirischen herbst für die Eröffnung mit Künstlern und Fans und allerlei hohen Tieren.
Also doch rechts: "Ein krisengeschütteltes Gesamtkunstwerk" versprach der herbst zum Auftakt. "raumlaborberlin", die schnelle Eingreiftruppe in den öffentlichen Raum, lud mit dem detto experimentierfreudigen Grazer "Theater im Bahnhof" in den "Tempel der Vernunft".

Vorm Eingang sah man zwar niemanden auf den bunten Kreidekreuzen Tempelhüpfen, drinnen aber sprang zumindest das eine oder andere Herz im Manne/in der Frau: Denn die Installation in der Halle wirkte wie eine Spieleburg für Erwachsene, nicht an jeder Station gleich spannend und lustig und ein wenig an den "Schwarzmarkt" 2007 erinnernd: Mit Kunststoffen waren Pyramiden und Kojen aufgebaut, hinter deren Vorhängen sich gar Wunderliches tat: Ein nur mit Brillen bekleidetes Pärchen tanzte zum Motto "Singen mit den Füßen, Denken mit dem Arsch". Ernst Stummer verriet, wie er es zum Adelstitel "Einbrecherkönig von Wien" brachte. Der frische Tractatus-Preisträger Franz Schuh lieferte im Ohrensessel Live-Philosophien über das Leben im Allgemeinen und die Zuschauer im Speziellen, "die im Flanieren zu Statisten werden, wie in der Kunstausübung üblich".
Man konnte sich ein Karten-orakel legen lassen, von einer Ärztin über "Das Ende der Homöopathie" oder einem Schuldnerberater über Sparschweinereien belehren lassen. Irina Karamarkovic sang melancholisch den Balkan herbei und auf einer DJ-Station liefen die Vinyle rund.

Kontrapunkt

Dem durchwegs lustigen Treiben setzte Veronica Kaup-Hasler in ihrer Eröffnungsrede einen ernsten Kontrapunkt: Die herbst-Intendantin schlug sehr schlüssig eine Brücke von der Wirtschaftskrise und dem wieder aufkeimenden Optimismus hin zum diesjährigen Leitthema "All The Same": "Offensichtlich werden wieder Gewinne gemacht, die Börsen erholen sich. Dass gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Verarmung voranschreiten, registriert man mit hilflosem Bedauern und zunehmender Gleichgültigkeit."
Eine Wiederkehr des Fast-Wiedergleichen also. Kaup-Hasler will mit den Mitteln der Kunst den Aufstand gegen diese Ära der Gleichgültigkeit proben. Durch die Doppeldeutigkeit des Themas: "All The Same - Was gilt, wenn alles gleich und gültig ist?" Speziell jetzt sei es Aufgabe der Kunst, um Kriterien und Werte zu ringen, "mit denen man Position beziehen kann. Unser Wohlstand ist noch immer auf dem Rücken derer finanziert, die dankbar wären, wenn sie ihre mit unserer Krise tauschen könnten. Wir beobachten und analysieren das, es wird in Statistiken festgehalten - aber wir ziehen keine Konsequenzen daraus."
Daher sei es umso dringlicher, dass sich die Kunst, dass sich das Festival "an den Ausformungen der Gleich-Gültigkeit abarbeitet - nicht larmoyant oder resignativ, sondern durchaus empathisch." Um Erfahrungen zu machen, die diese Gleichgültigkeit "aus dem Lot, vielleicht: wieder ins rechte Lot bringen."

Ute Baumhackl, Werner Krause, Michael Tschida