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profil - 21.09.2009
Ferne Welten, unsichere Zeiten
Der steirische herbst setzt auf ein internationales Programm, das alle Spartengrenzen sprengt: Highlights, Programmatik und finanzielle Probleme.

Ein zufällig gefundenes Kleidungsstück setzt die Erinnerung in Gang: Eine junge Frau probiert die Jeans ihrer Mutter aus den siebziger Jahren an – die Hose passt zwar, doch der Vergangenheit ist schwer auf die Schliche zu kommen. Die in Buenos Aires lebende Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Lola Arias setzt sich in ihrer jüngsten Arbeit, „Mein Leben danach“, mit der Generation ihrer Eltern auseinander: Sie versucht in ihrer poetisch-dokumentarischen Inszenierung, Licht in die dunklen Jahre der argentinischen Militärdiktatur zu bringen, in jene Zeit, als tausende von Menschen spurlos verschwanden.

Lola Arias, 1976 geboren, ist ein gutes Beispiel für das treffsichere Gespür des Grazer Multisparten-Festivals unter der Leitung von Veronica Kaup-Hasler. Viele der hier erstmals eingeladenen Off-Produktionen machten später schnell Karriere im deutschsprachigen Theater. Lola Arias war bereits 2007 mit ihrer Trilogie „Love Is a Sniper“ beim Grazer Festival zu Gast, diesen Herbst inszeniert sie an den renommierten Münchner Kammerspielen ihr Stück „Familienbande“. Auch das New Yorker Nature Theater of Oklahoma war hierzulande erstmals beim steirischen herbst zu sehen. Eine Einladung der Salzburger Festspiele folgte, und Burg-Chef Matthias Hartmann präsentierte in seiner Eröffnungswoche eine Musical-Eigenproduktion mit der schrägen New Yorker Off-Theater-Gruppe.

„Wir sind ein produzierendes Festival in allen Sparten der Kunst“, beschreibt Veronica Kaup-Hasler die Programmatik des steirischen herbst, den sie seit 2006 leitet: „Wir dürfen nicht aufhören, Künstlern neue Arbeiten zu ermöglichen.“ In der Tat hat sich das Festival deutlich verändert: Internationale Experimente dominieren, klassisches Literaturtheater ist selten geworden. „Unsere Rolle hat sich gewandelt“, kommentiert Kaup-Hasler diese Entwicklung: „Früher kam zeitgenössische Literatur im Stadttheater kaum vor, mittlerweile haben sich die Theater geöffnet. Das verändert wiederum die Aufgaben eines Festivals: Wir müssen Neues schaffen und nach Theaterformen suchen, die im Alltag des Stadttheaterbetriebs kaum möglich wären.“

Finanziell steht laut Kaup-Hasler das Festival auf schwachen Beinen: „Die Grundfinanzierung ist auf dem Stand der neunziger Jahre stehen geblieben.“ 3,6 Millionen Euro stehen jährlich zur Verfügung, inklusive Sondersubventionen des Landes Steiermark und des Bundes. „Ohne diese hätten wir schon in den letzten Jahren maßgebliche Teile des Programms streichen müssen“, so Kaup-Hasler. Ein Opfer des Sparprogramms ist das Musiktheater: „Das ist eine Entwicklung, die ich sehr bedauere: Es wäre unsere Aufgabe, junge Komponisten zu fördern, aber Musiktheater ist eben am teuersten zu produzieren.“

Das Programm hat trotzdem Highlights aufzuweisen: Das britische Kollektiv Forced Entertainment gastiert mit einer ungewöhnlichen Produktion. In „Void Story“ wird mittels düsterer Fotoprojektionen eine albtraumartige Geschichte erzählt: Ein junges Paar schlittert in ein absurdes Katastrophenszenario. Der Wiener Choreograf Philipp Gehmacher lädt mit dem deutschen Videokünstler Vladimir Miller in einen verwirrenden Raum: „dead reckening“ spielt mit einer See-Navigationsmethode, die ohne Geräte auskommt. Fixe Orientierungspunkte hinterfragt auch die Ausstellung „Utopie und Monument I“, die als zweijähriges Projekt angelegt ist und unter anderem zu klären versucht, warum die Utopie einen so schlechten Ruf hat.
Infos: www.steirischerherbst.at

Karin Cerny