Korso - 01.10.2009
Post-Apokalypse am Niger-Delta
Die Ausstellung „Real Energy World“ im Forum Stadtpark beschäftigt sich mit der Abbildung einer konkreten Katastrophe...
...Internationale
Pressefotografien, Arbeiten aus der Region und aktuelle Dokumentarfilme
rücken das ökologische, soziale und humanitäre Desaster des
Niger-Deltas in Folge der Erdölförderung durch internationale Konzerne
ins Bild.
Die Intention des Kulturprojekts „Real Energy World“ ist
ambitioniert: Mit Hilfe von drei Modulen – einer Ausstellung im Forum
Stadtpark, einer öffentlichen Schau auf Werbeflächen und einem
hochkarätig besetztem Symposium – sollen im Endeffekt globalisierte
Zusammenhänge veranschaulicht werden, die sich als solche nicht immer
im Vorhinein erschließen lassen. Im Vordergrund steht dabei die
katastrophale Situation der BewohnerInnen des Niger-Deltas im Süden
Nigerias. Gebeutelt vom Erdöl-Engagement multilateraler Konzerne, die
zur Erlangung der auferlegten Profitmaximierung das Delta seit
Jahrzehnten aus ihrem ökologischen und sozialen Gleichgewicht bringen,
leben die rund 30 Millionen Menschen der Region inmitten eines
Katastrophengebiets. Im Hintergrund steht aber auch die Verantwortung
jener, die tausende Kilometer weit entfernt, scheinbar unbeteiligt, auf
dieses Erdöl zurückgreifen: Vor allem der öffentliche Teil der Schau,
rund 180 großflächig geklebte Bilder auf Plakatflächen in ganz Graz,
soll „einen ‚blinden Fleck‘ in der Bevölkerung erkennbar machen,
irritieren und schockieren“, erklärt einer der beiden KuratorInnen,
Hans Nevidal. Demnach soll die Wahrnehmung mit Hilfe dieser
„Irritationen“ auf jene Zustände gerichtet werden, die sich hinter der
Ölgewinnung verbergen, und den Zusammenhang zwischen Öl-Erzeuger und
Öl-Verbraucher sichtbar machen.
Unkaschierte Bilder.
Noch bis zum 18. Oktober zeigt die Ausstellung im Forum Stadtpark
Arbeiten von 19 internationalen FotografInnen sowie filmische Beiträge,
darunter jenen des Grazer Filmemachers Michael Glawogger, der für
seinen Dokumentarfilm Megacities auch das Leben der Menschen in Port
Harcourt, der Hauptstadt der Region, unter die Lupe nahm. Einer der
Fotografen ist George Osodi (siehe Bild); der aus dem Delta stammende
Pressefotograf ist unter anderem für world associated press tätig,
wenngleich er in seiner Arbeit während der letzten Jahre auch einen
künstlerischen Zugang implementiert hat. So wurden seiner Bilder 2007
bei der Documenta in Kassel gezeigt, Kuratorin Eva Ursprung wurde
damals auf seine Arbeit aufmerksam. Osodis Fotos zeigen die Katastrophe
seiner Heimat unkaschiert, es gibt nichts zu beschönigen. Von der
Wirkkraft seiner Arbeit ist der Fotograf überzeugt: „Ich glaube schon,
dass ich mit meinen Bildern ein wenig dazu beitragen kann, dass sich
die Situation im Delta verbessert. Ich informiere, indem ich Wissen
weitergebe. Für meine Fotos bracht man auch keine Vorbildung, man
braucht nicht lesen können. Man sieht sie und weiß, was passiert“, sagt
Osodi gegenüber KORSO. Seine Arbeit ist aber nicht ausschließlich an
die nigerianische Bevölkerung adressiert, er möchte auch „in Europa und
in Amerika Bewusstsein dafür schaffen, dass es im Delta nicht so
weitergehen kann“.
Militarisierung. Osodi
erzählt, dass Konzerne wie Mobil, Total, Shell, Texaco oder Agip nach
wie vor im Niger-Delta aktiv sind, auch wenn sie seit dem Tod des
nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa im Jahre 1995 vorsichtiger
geworden wären. Saro-Wiwa war im Rahmen eines zwielichtigen Prozesses
zum Tode verurteilt und ferner in Nigeria hingerichtet worden. Nach wie
vor seien sämtliche große „Player“ lediglich darauf erpicht, „soviel
Profit wie möglich zu machen“, berichtet Osodi, dabei sei das Rezept
zum friedlichen Miteinander in der Region simpel: „Man müsste die
Menschen im Delta nur mit Respekt behandeln, was passiert, ist aber das
Gegenteil“, sagt der 36-jährige Fotograf. Dem entgegen gibt es seit gut
fünf Jahren auch einen bewaffneten Widerstand; die MEND (Movement for
the Emancipation of the Niger Delta, Anmerkung) hofft vor allem mit
Entführungen die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen lukrieren zu können.
Die
Perspektive, die die unterschiedlichen FotografInnen den
AusstellungsbesucherInnen gewähren, ist ohne Zweifel erschütternd,
wenngleich sie auch Ästhetik inkludiert: brennende Erdgasfackeln
gesellen sich neben klinisch-sauber anmutende Öl-Fördertürme,
post-apokalyptische Landschaften und Pipelines, die mitten durch die
Dörfer verlaufen, sind ebenso zu sehen wie verkohlte Leichen oder
Szenen des Schlachthofes in Port Harcourt. „Es war für uns überraschend
zu sehen, dass es zwischen den Fotos von den Pressefotografen und jenen
der Künstlern fast keinen Unterschied auszumachen gibt“, sagt Kuratorin
Eva Ursprung. Fotograf Osodis Zugang ist schnell erklärt: „80 Prozent
meiner Fotos dokumentieren das einfache Volk. Diese Menschen wollen
eigentlich nur Gesundheit und Bildung. Und weil sie in einer an
Bodenschätzen sehr reichen Region leben, sollte das eigentlich auch
möglich sein.“
Gregor Stuhlpfarrer