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Wiener Zeitung - 13.10.2009
Musikprotokoll: Wer hören will, muss fühlen. . .
Konzert

Man muss schon 'was drauf haben, wenn man es als Bassgeiger solistisch in die Primetime eines Musikfestivals bringen will - und sei's ein zeitgenössisches Treffen wie das "musikprotokoll" beim "Steirischen Herbst". Uli Fussenegger, der immer neugierige Bassist des Klangforums Wien, hat am Sonntag den mehrstündigen Konzertreigen eröffnet. Wie sehr "dieses riesige Holzteil die Phantasie zur klanglichen Zweckentfremdung anregen kann", habe sein Instrumentenbauer nicht geahnt, schreibt Fussenegger nicht ganz ohne Koketterie. Aber er löst dann solche Versprechungen natürlich auch ein: Klaus Hubers "Ein Hauch von Unzeit VII" kommt ganz harmlos daher, als Barock-Chaconne, und mutiert zur Anarchie üblicher Spielweisen, wobei herbe Klänge nahe am Steg eine entscheidende Rolle spielen. György Kurtag hat für Kontrabass-solo genau so komponiert wie Ciacinto Scelsi, Letzterer experimentierte natürlich mit Mikrotönen, die auf der Bassgeige auch einiges hermachen.
Zwei Mal akustische Klangzauberei, zwei Mal elektronische Raum-, oder genauer: Körper-Ergreifung zum Abschluss des viertägigen "musikprotokolls". Es stand unter dem Motto "touch this sound". Neben Fussenegger spielte der nicht minder experimentier-süchtige Trompeter Franz Hauzinger.

Elektronik live
Und als Kontrast eben Elektronik: Wenn die Amerikanerin Kaffe Matthews an den Schiebereglern sitzt, dann wirkt sie wie eine Pianistin, angespannt schaut sie drein, manchmal gelöst, als ob ihr eine Phrase besonders gut gelungen sei. Und sie wiegt sich gelegentlich im Takt. Es ist also wirklich elektronisches Live-"Spiel", dessen Basis-Frequenzen Kaffe Matthews unmittelbar vor dem Beginn der Performance im Raum selbst sammelt. Die Dinge sind dann freilich so verwandelt, dass man nichts wieder erkennt. Ihr dänischer Kollege Jacob Kirkegaard spielt uns in einer Live-Installation das vor, was sonst das Ohr körper-intern erledigt: Aus mehreren Tönen entsteht ein Additionston (Tartini-Ton heißt das in der Musiktheorie).
Musik also in ihrem Zusammenhang mit dem Körper: Der Amerikaner GX Jupitter-Larsen hat am Eröffnungsabend (Donnerstag) tatsächlich seine Zuhörer mit Musik "beschossen". Für seine Performance Ion-Gun kommen zwei grimmig aussehende Menschen mit Ledermasken (nur ein Auge bleibt frei) aufs Podium. Sie fassen gemeinsam ein Mikrophon und malträtieren wie die Irren eine Tischplatte. Das Knirschen und Knarren schmerzt in den Ohren - aber nicht nur das lässt einem die Haare zu Berge stehen. Die freigesetzte Energie wird per Trafo umgewandelt, im Raum wird ein starkes elektrisches Feld erzeugt. Tippt man seinen Sitznachbarn an, dann fliegen die Funken. Und die Haare heben sich. Der elektrostatische Kurbel-Auflader im Physikkabinett hat nach demselben System, aber deutlich leiser funktioniert. Die Energie jedenfalls war körperlich spürbar. Weil zu so einem Abend sowieso keine Leute im Herzschrittmacher-Alter kommen, sondern vorwiegend studentisches Publikum, war es auch ungefährlich.

Musik des Herzens
Ticken die Live-Elektroniker wohl noch richtig? Den Test machen Erich Berger und Pure (Peter Votava) mit ihrem "Heart Chamber Orchestra": Zwölf Leute haben statt Notenpulten Laptops vor sich. Jeder Musiker ist EKG-mäßig verkabelt, und aus den unterschiedlichen Herzfrequenzen werden auf elektronischem Wege Tonhöhen, Rhythmen - und eben auch die Vorlagen fürs Live-Spiel (von der Violine bis zur Basstuba) entwickelt. Das Ergebnis: eine Art aus dem Tritt gekommener Minimal-Music.
Konventionellere Kompositions-Geister haben logischerweise nicht so leichtes Spiel, wenn es darum geht, Musik "greifbar" zu machen. Olga Neuwirth versucht es mit einem Bratschenkonzert, das am Samstag vom RSO unter Peter Eötvös mit dem famosen Antoine Tamestit aus der Taufe gehoben wurde. "Remnants of Songs . . . an Amphigory" heißt das Stück, das schonungslos historisches Material verschneidet. Aber kaum glaubt man ein Zitat konkret dingfest gemacht zu haben, macht es sich auch schon wieder davon, verändert es wie ein Chamäleon sein Aussehen. Handwerklich ist das toll gemacht, beeindruckend instrumentiert. Ob's noch irgendwas mit Neuer Musik zu tun hat? Aber was ist das schon in der Ära nach der Postmoderne.

Reinhard Kriechbaum