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Salzburger Nachrichten - 24.09.2009
Denkanstöße wider die große Gleichgültigkeit
Auftakt. Mit einem begehbaren "Tempel der Vernunft" beginnt heute, Donnerstag, der "steirische herbst".

Der "steirische herbst" ist bruchstückhaft geworden. Zumindest auf seinen Plakaten und Broschüren, dort, wo bloß Puzzleteile mit Buchstabenfragmenten zu sehen sind, die man im Geist zusammenfügen muss. Vorausgesetzt: Man ist interessiert und nicht gleichgültig. "herbst"-Intendantin Veronica Kaup-Hasler stellt in ihrem vierten Programmjahr die Frage, was Geltung hat, "wenn alles gleich und gültig ist". "All the same" lautet das Leitmotiv für das Festival für Gegenwartskunst, das heute, Donnerstag, in der zum "Tempel der Vernunft" umfunktionierten Grazer Helmut-List-Halle eröffnet wird.Wellness und Erkenntnis Dass der "herbst" in der ebenso teuren wie charmefreien List-Halle eröffnen muss, ist immer noch eine fatale Erblast aus der Intendanz Peter Oswalds. Ein Tempel der Unvernunft? Nach einigen Fehlschlägen in den vergangenen Jahren konstruiert diesmal "raumlaborberlin" zur "herbst"-Eröffnung die Hardware, also die Architektur, die Lokalmatadore vom "Theater im Bahnhof" bringen die Software, also die Bespielung der Hülle. Was ein "krisengeschütteltes Gesamtkunstwerk" werden soll, definiert sich als Ort, in dem "Wellness, Verklärung und Erkenntnis manchmal nicht ganz unterscheidbar sind". Die Hoffnung auf einen sinnlichen Erlebnisparcours jenseits feuchtfröhlichen Partytreibens im 24 Stationen umfassenden Raumlabyrinth ist groß.
Die vom Dramaturgen Florian Malzacher unterstützte Intendantin versteht den "herbst" als "produzierendes Festival in allen Sparten der Kunst". In ihrem Spezialgebiet, dem Theater, überwiegen heuer die Österreichischen Erstaufführungen; Koproduktionen sowie der Import von Bewährtem aus dem internationalen Off-Betrieb haben das auch finanziell riskante Uraufführungsexperiment abgelöst. Warum auch nicht? Spannende Produktionen von Rimini Protokoll, Forced Entertainment oder Lola Arias in Graz sehen zu können, ist so schlecht nicht.
Um im Konzert der ganz Großen mitmischen zu können, fehlen dem "steirischen herbst" (Budget: 3,6 Mill. Euro) die Mittel. Diese eklatante Unterdotierung im Vergleich zu anderen Festivals zu beheben, ist eines der Ziele der bis 2014 bestellten Intendantin.
Hauptquartier der bis 18. Oktober dauernden Veranstaltung ist das vom Wiener Architekturbüro "MDV frank, rieper" entworfene Festivalzentrum "Schauhaus": ein monumentales benutzbares Regal mit Sonnendeck, welches dem Grazer Orpheum vorgelagert ist und einen neuen Zugang ins Haus ermöglicht. "Ein Ort, der offen ist für die Begegnung von Künstlern und Publikum", erklärt Kaup-Hasler, die damit an legendäre Zeiten erinnert.
Von 1975 bis 1982 war das Orpheum Schauplatz des "open house": "Ein neues Modell, junges Publikum mit neuer Kunst und ernst zu nehmender Unterhaltung vertraut zu machen. Die Grenzen sollen verwischen, Reizschwellen der Avantgarde abgebaut werden", hieß es damals. Die Avantgarde ist Geschichte, 2009 ist man um Abgrenzung von "zu viel Gleichgültigkeit" bemüht.

Martin Behr