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Salzburger Nachrichten - 12.10.2009
Spiegel des Lebens mit Goldrand
Der argentinische Theatermacher Federico León zeigte in Graz seine Produktion "Ich in der Zukunft"

Es fallen wenige Worte und doch ist das Gezeigte vielsagend. Die Aufführung ist leicht verständlich und doch nicht simpel. Sie ist mit knapp 40 Minuten Dauer für ein Bühnenwerk kurz und doch dazu angetan, sich länger mit dem Gesehenen gedanklich zu beschäftigen. Mit der Theaterminiatur "Yo en el futuro / Ich in der Zukunft" von Federico León präsentierte der "steirische herbst" als Koproduktion mit dem Complejo Teatral Buenos Aires am Freitagabend eine Zeitreise zwischen den Generationen: Ein Abend der Musikalität, Poesie und einer mit souveräner Leichtigkeit vermittelten Schwermut.
Kind, Erwachsene, Senioren: Je drei Vertreter dieser Lebensalter treten in ähnlicher Kleidung (je jünger sie werden, desto intensiver ist die Musterung) auf, real und auf projizierten Super-8-Filmen. Die Akteure sehen sich die Filme aus der Vergangenheit an, meist stumm, nur selten werden die Geschehnisse von einst knapp kommentiert, bisweilen auch nachgespielt. Film und Theater beginnen zu einer Einheit zu verwachsen. Ähnlich ist es auch mit dem Gestern und dem Heute. Dem Großvater wird der Rauschebart real abgeschnitten, ein Kuss aus Jugendtagen in Variationen wiederholt, Klavierspielerinnen liefern den Soundtrack zu diesem Versuch über die Vergänglichkeit von Gefühlen im Speziellen und dem menschlichen Dasein im Allgemeinen.
Federico León formt aus bewegten Bildern, in den 1950er-Jahren aus Kinderhand produziert, aus filmischen Wiederholungsexperimenten aus den 1970er-Jahren und der Betrachtung derselben mit reifen Seniorenaugen in der Gegenwart einen großen, mit dezentem Goldrand verzierten Spiegel des Lebens. Viel Unbeschwertheit ist in diesem zu erblicken, weiters auch Träume und Hoffnungen, Leidenschaft, Existenzialismus, Nostalgie und Zukunftsängste. "Ich in der Zukunft" lässt Erinnerungen frei: "Mein Gott, was waren das für Zeiten!"
Formal orientiert sich der 34-jährige argentinische Schauspieler, Regisseur, Autor und Filmemacher an den in Südamerika immer noch verbreiteten Varieté-Shows auf kleinen Bühnen vor Kinoleinwänden.
Spätestens wenn bei der Österreichischen Erstaufführung im Grazer Orpheum die Darsteller, sechs Frauen und drei Männer, auf der Bühne gefilmt und projiziert werden, stellt sich die Frage, welche Zeit denn die gültige sei. Dass Federico León die Antwort darauf verweigert, ist gut so. Sein Theater, dieser kurzweilige, ruhige Reigen der Lebensabschnitte, vermittelt keine restlose Aufklärung, dafür aber Angebote zum Schauen, zum Nachdenken, zur Melancholie.

Martin Behr