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korso - 01.10.2009
Es dampft im Annenviertel
Konzepte rund um die Annenstraße haben in Graz schon Tradition, jede Umsetzung ist bislang gescheitert, viele Visionen ins Belanglose abgedriftet.

Ergebnisse aus organisierten Mitmach-Workshops liegen abgeheftet und abgeschrieben. Auch die Aufbruchsstimmung ist längst versandet. Bis vor nicht allzu langer Zeit der <rotor> unweit der Annenstraße seine Räumlichkeiten bezog. Soweit zur Geschichte.

Es ist ein dickes rotes Rufzeichen, das heute hinter dem Wort Annenviertel! steht. Und Aufschluss gibt über die Dringlichkeit, die Energie, mit der das Projekt neu angegangen werden will, das im Untertitel „die Kunst des urbanen Handelns“ beschwört. Eine Eröffnungs-Ausstellung im <rotor> liefert die nötigen Beispiele, dass das Geplante funktionieren kann: vier KünstlerInnen aus Städten wie Amsterdam, Mailand, Sofia und Tirana verfolgen unterschiedliche Ansätze von Dokumentation und Analyse, über Partizipation, die Schaffung von Bildern, das Kommunizieren und Bewusstseinschaffen.


Mit den Mitteln der Kunst. Sehr symbolisch die Arbeit des Künstlers Pravdoliub Ivanov – unzählige Kochtöpfe hat er auf Kochern am Boden arrangiert, das Wasser dampft langsam vor sich hin, aber richtig ins Kochen kommen wird es nie, sind die Heizplatten auch viel zu schwach für die großen Geschirre und die Mengen an Wasser. Der Titel ist prophetisch und holt jeden euphorischen Veränderer auf den Boden der Tatsachen und Kochtöpfe zurück: „Transformation always takes time and energy“. So werden in den nächsten beiden Jahren kontinuierlich die Aggregatzustände gewechselt werden, das Projekt wird reifen und mehr als nur Dampf oder Schimmel hinterlassen. Bildlich.
Ein voll gefülltes, erstes Programmheft gibt es bereits, das über die Aktionen in den nächsten Monaten Auskunft geben und zum Mitmachen einladen soll. Schwerpunkt liegt dabei auf dem Erfahren, dem Aufspüren und Erleben von Räumen und Potentialen. Die Stadtforscherin Elke Krasny wird im gemeinsamen Gehen mit unterschiedlichen Menschen aus dem Viertel die Wissensweitergabe ankurbeln, Expertinnen zu Wort kommen lassen, die hier leben und gelebt haben. Auffordern, aufwecken und zum Partizipieren anregen sollen auch zwei neu geschaffene Formate: So wird der Literat Stefan Schmitzer monatlich die Annenpost herausgeben, die sich über Geschichten im Viertel verorten will, und Radio Helsinki nimmt mit „Stimmen aus dem Annenviertel“ eine im Intervall von zwei Wochen wiederkehrende Sendung Grätzelnews und -schwingungen auch ins Radio auf. Weitergegeben wird nicht nur Wissen über das Viertel, auch Fertigkeiten und besondere Talente sollen zirkulieren – „Die Villa, in der wir wohnen“  wird zahlreiche Workshops organisieren.

Ausgestellt wird auch im Annenviertel: Die Künstlerin Maruša Sagadin war bereits in den letzten Monaten zu Recherchearbeiten für ihr Viertelprojekt unterwegs, hat Angestellte und Menschen auf der Straße gebeten, ihre Chefs und Chefinnen zu zeichnen, oder mit passender Krawatte versehen, als „zukünftige“ Chefs fotografiert. Diese Kleinode, in roten Boxen arrangiert, findet man in einem ebenfalls roten Schaukasten an der Arbeiterkammer, wo nun auch in großen Buchstaben der Titel ihres Projekts prangt: „Meine Chefs – Wir Chefs“ – unbedingt vorbeigehen und schmunzeln.

Ein Projekt der Gruppe Bijari aus Sao Paulo wurde ebenfalls bereits in den öffentlichen Raum des Viertels „verpflanzt“ und wird dort sicherlich für Verwunderung sorgen. Ein „begrüntes Auto“ als Reaktion der Künstler auf die spärliche Begrünung ihrer Heimatstadt. Grünraum spielt in jedem städtebaulichen Konzept eine große Rolle, wird aber nur allzu oft durch Parkflächen für Autos ersetzt.
Selbst einfach abreißen, begrünen, zupflastern und umstrukturieren darf man auf dem Reißbrett von Pia Lanzingers Stadtentwicklungsspiel „WorldWideWob“. Vielleicht zuallererst den Dampf auf der Spielfläche ablassen, damit der Kopf  auch wirklich frei wird für Neues. Zu Verwirklichendes.
Eva Pichler