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Falter - 29.09.2009
Warum ist die Kunst so verdammt keusch?
Steirischer herbst, die erste Woche: Es ist gar nicht so leicht, die richtige Lautstärke zu finden. Schon gar nicht im Freien

Der Donnerstag.
Immer dann, wenn der Herbst, diese ranzige Melancholiemaschine, das Land in Richtung Winter reißt, muss der herbst ran, um das Schlimmste zu verhindern. Dabei ist der steirische herbst, das Festival mit den Kleinbuchstaben, ja selbst ganz schön zerrissen: Weil es zeitgenössisch sein muss, zugleich der Tradition verpflichtet, weil es in Kunstdiskursen aller Sparten und an den Theaterkassen bestehen muss, weil es lokal produzieren und international ausstrahlen soll. Unmöglich!
Das Unmöglichste: die Eröffnung. An einem Abend muss da dem Bürgertum, das später das Kunstprogramm nur mehr am Rande streifen wird, Sinn und Streben des Festivals verdeutlicht werden. Dazu möglichst noch die eigene Relevanz. Und satt und lustig sollen auch alle werden. Und weil das keine einfache Aufgabe ist, waren herbst-Eröffnungen in der Vergangenheit manchmal reichlich angestrengte Gratwanderungen, die nicht selten in phänomenale Saufgelage ausuferten.
Heuer war das anders. Heuer war es richtig gut. Zur Eröffnung des herbst, der sich diesmal das Motto „All the same. Was gilt, wenn alles gleich und gültig ist?“ verordnet hat, haben das in unmöglichen Situationen nicht unerfahrene Theater im Bahnhof und raumlaborberlin die monumentale Helmut-List-Halle in eine vielschichtig brummende, denkende und kichernde Sozialskulptur verwandelt, die als „Tempel der Vernunft“ auch jede Menge Unvernunft produzierte. Ein wenig wie beim „Schwarzmarkt“ vor zwei Jahren, ein wenig wie in den „36 Kammern der Shaolin“.
Im Foyer und den 24 Kammern des Tempels konnte man mit Franz Schuh über Glück und Liebe philosophieren, mit dem neo-dadaistischen Pastor Leumund über Beuys plaudern, mit Markus Wilfling den Boden unter den Füßen verlieren, den Ausnahmeperformern Frans Poelstra und Robert Stejn beim splitternackten „Denken mit dem Arsch“ zusehen oder sich von Waffenfachhändlern die Vorzüge einer Walther P 99 erklären lassen. Derer gibt es viele! Jeder hat was anderes erlebt, alle sind ein wenig schlauer geworden, gleichgültig war’s kaum einem. Dass die Menge dann beim Kunstliedgutabend von Phantom Ghost wieder andächtig lauschte, wird als Meisterleistung der Saalregie in die herbst-Geschichte eingehen. All the same? All the better!

Der Freitag.
Die Bildende Kunst ist wieder da: In den letzten Jahren ein wenig aus dem Festival verschwunden, steht sie diesmal dick im Zentrum. Das ist nicht nur gut gegangen. Die ganze Stadt – ein großer Skulpturengarten, für dessen Bespielung vor allem Sabine Breitwieser verantwortlich zeichnet. „Utopie und Monument I“ ist trotz pompösen Titels eine sehr keusche Setzung geworden. Die Eröffnungsreden vor dem Bad zur Sonne im „Pavillon“, einem öffentlichen Schauraum zur Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum, waren kaum zu hören. Eine Anleihe bei Gustav Klucis, dessen mobile Lautsprecher-Tribünen für den fünften Jahrestag der russischen Revolution im Pavillon gut dokumentiert sind, hätte nicht geschadet.
Auch der Stoffvorhang, den Dolores Zinny und Juan Maidagan vors Rathaus hängten, hat es schwer. Am Eröffnungswochenende besetzten Gebietskrankenkasse und Tierschützer den Hauptplatz so penetrant mit ihren Zelten, Kletterwänden und Parolen, dass die Kunst zur bloßen Fußnote wurde. Und Lara Almarceguis Kunstinserat in der Kleinen Zeitung, mit dem sie auf städtische Brachen hinweisen wollte, war derart dilettantisch designt, dass es weh tat. Wirklich gut: David Maljkovics punktgenau gelandetes „Monument für Graz“ am Pfauengarten und Nils Normans agavenbewachsene Arbeits-Spiel-Skulptur im Volksgarten, an der am Sonntag schon zwanzig gut gelaunte Kinder ein feines Lagerfeuerchen entzündeten. Entlastend darf man vorbringen, dass eine Schau mit diesem Anspruch – die Gültigkeit von Kunst in Zeiten des Kommerzes zu prüfen – mit 200.000 Euro deutlich unterbudgetiert ist. Das gilt nach wie auch vor für das gesamte Festival. Frau Minister, bitte bekommen!
„(out)“ andererseits, eine klassische Stadtmöblierung mit junger serbischer Kunst, geriet durchwegs zu deftig. Kunststudierende sollten sich erst mit flüchtigeren Formen befassen, bevor sie zur Bronze greifen dürfen. Und in Bezug auf „MMIX“ – 40 Künstler erdachten je einen Kurzsatz, der auf einem Kleinlaster durchs Land tourt – darf man es mit G.R.A.M. halten, die dichteten: „Hilft’s nix, schadet’s nix.“ Auch dass das Projekt nicht wie angekündigt am Hauptplatz debütierte – der war ja schon voller Gaudium – darf man als Niederlage werten. Klare Kunst-Sieger der Eröffnungswoche: die Video-Schau „talk talk“ im Medienturm, die mit 25 klasse Arbeiten dem Gesprochenen, den Stimmen in der aktuellen Kunstproduktion nachspürt, Artur Zmijewskis „Democracies“ bei Camera Austria und das -Langzeitprojekt „Annenviertel“. Der „Green Car“ von BijaRi – ein Modell für die Annenstraße!
Die beste herbst-Setzung im öffentlichen Raum: das Festivalzentrum vor und im Orpheum. Außen hui, innen mit viel Potenzial, Flipper und Tischtennistisch und einem richtigen Theaterraum, der von Stefan Kaegis „Radio Muezzin“ am Abend auch wirklich würdevoll eröffnet wurde. Da kommt keine TV-Doku mit. Das Würdevollste am Ja, Panik-Konzert danach war die Flasche Winzerrotwein, die Andreas Spechtl in Rekordzeit leerte. Gut, war auch der erste Auftritt mit neuer Platte. Das sitzt noch nicht so recht.

Der Sonntag.
Wirklich stark ist der herbst auch dieses Jahr im Grenzbereich zwischen Performance und Tanz. Wie das belgisch-norwegische Duo deepblue in „you are here“ im Dom im Berg das Publikum erst in mürrische Resignation und dann zu kollektivem Staunen führte, war Kopfkino allererster Klasse. Zum Schluss eine stille Arbeit, die auch diese Woche noch im Heimatsaal zu erleben ist. Der Choreograf Philipp Gehmacher hat mit Vladimir Miller eine Videoinstallation ersonnen, die ebenso streng wie sinnlich funktioniert. In „dead reckoning“ sind die realen Tanzkörper abwesend, der Raum verschiebt sich, das Publikum tanzt ums Videolicht. Würde ich mir echt noch einmal anschauen.

Thomas Wolkinger