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Der Falter - 23.09.2009
Am Bauplatz
Wie sich das herbstliche Graz mit Kunst füllt. Und was die Kunst kann, wenn alles gleich und gültig ist

Wer sich dieser Tage in die City wagt, gewinnt den Eindruck einer belagerten Stadt. Kaum ein Quadratmeter, an dem nicht gerade Arbeitstrupps in Blaumann das nächste Großereignis – vom Steirerfest zum Kunsthandwerksmarkt – vorbereiteten, das die Stadtbewohner ein bisschen glücklicher machen soll. Und mittendrin: die Kunst – Skulpturen, Platzgestaltungen, Brunnen, die den Stadtraum über die letzten Jahrzehnte angereichert haben und inzwischen oft die Patina des Historischen tragen (siehe auch S. 42).
„In Graz ist es schon extrem. Man kommt oft kaum noch durch die Straßen in der Innenstadt. Und manchmal stehen da Dinge, von denen man gar nicht weiß, was sie eigentlich sollen.“ Das sagt Sabine Breitwieser, frühere Direktorin der Generali Foundation, die gerade für den steirischen herbst die Stadt durchforstet hat, um Standorte für „Utopie und Monument I“ zu finden, eine groß angelegte und über zwei Jahre getaktete Ausstellung, mit der sich der herbst erstmals wieder in großem Stil mit Kunst im öffentlichen Raum positionieren will.
Und Sabine Breitwieser ist nicht die Einzige, die in Graz unterwegs war. Allein im steirischen herbst wollen sechs weitere Projekte die Kunst über Plakate, Performances und temporäre Eingriffe aus den „white cubes“ in den Stadtraum tragen. Um zu irritieren, um den Wert der Kunst gegenüber der allgegenwärtigen Warenwelt zur Diskussion zu stellen oder ganz konkret an der Entwicklung eines Stadtviertels mitzuwirken.
Dazu kommt eine Vielzahl freier Projekte, die ebenfalls in den Stadtraum drängen: „Abbey“, die „mobile Galerie“, bringt junge Kunst im Wohnwagen zu den Menschen, am Lendplatz hat das Duo zweintopf die Markthallen mit 19 Installationen infiltriert. Und das „Institut für Kunst im öffentlichen Raum“ trägt gleich mit sechs Projekten zum einen zum steirischen herbst, zum anderen zu einem noch hehreren Ziel bei – zur Völkerverständigung zwischen Slowenien und der Steiermark.
So viel Aktion in einer so kleinen Stadt! Was kann die Kunst da bewirken? Verstört sie noch? Stört sie nicht einmal mehr? Eine Spurensuche auf fünf Kunstbaustellen.

Baden-Powell-Allee, Stadtpark

Borut Vogelnik und Miran Mohar sind freudig erregt. Die Mitglieder des slowenischen Künstlerkollektivs IRWIN umkreisen mit ihren Kameras den Kunstbauplatz im Stadtpark und dokumentieren den – ihres Wissens nach – ersten offiziellen Denkmaltausch zweier Städte. Gerade hebt ein Kran den „PastircÇek“, den nackten „Kleinen Hirten“, der sonst den Platz vor der Staatsfunkzentrale in Ljubljana ziert, auf das Podest, auf dem gerade noch die „Styria“ thronte. Die wiederum wird in Ljubljana aufgestellt. Es stinkt nach Diesel, die Funken fliegen, während die Arbeiter den Marmorsockel anbohren, um den „Hirten“ zu verankern.
„Monument’s Time Sharing“ heißt das Projekt, das gut in laufende EU-Förderprogramme zum grenzüberschreitenden Kulturaustausch passt und in Graz vom „Institut für Kunst im öffentlichen Raum“ abgewickelt wird. IRWIN hat den Austausch wörtlich genommen, zwei Monate lang sollen die versetzten Denkmäler für Irritation sorgen. „Ich glaube, das Projekt schafft die Möglichkeit einer speziellen Kommunikation zweier Städte“, glaubt Borut Vogelnik, „und es erleichtert, dass die Menschen mit zeitgenössischer Kunst in Kontakt kommen, die sonst sehr hermetisch funktioniert.“
Historisch gesehen ist der Stadtpark ein beliebter Ort, um die Kunst zum Volk zu tragen und den alten Anspruch „Kunst für alle“ mit Leben zu erfüllen. Nur wenige Meter vom „PastircÇek“ erhebt sich Serge Spitzers „Rostiger Nagel“, gleich daneben hat das Forum Stadtpark eine Grasmulde ausgehoben, „Parabol“ genannt, als Zeichen, dass das Forum auch im Park Position bezieht. Nur das spektakulärste Projekt für diesen Ort wurde bislang nicht – oder eben nur als Medienskulptur – realisiert: ein 25 Meter hohes Denkmal für Arnold Schwarzenegger als „Terminator T-800“, das von den Moskauer Künstlern Aristarch Tschernyschow und Wladislaw Jefimow vorgeschlagen wurde. Zu viel Utopie für Graz?
Ein paar Stunden später, nachdem der Medientross abgezogen, die Eröffnung – auch ohne völkerverständigende Worte erstrangiger Staatsvertreter – über die Bühne gegangen ist, glänzt der „Kleine Hirte“ einsam in der Abendsonne. Selbst die zwei Teelichter, die ein verwirrter Besucher angezündet hatte, um der „Styria“ eine gute Reise zu wünschen, sind weg. Die meisten Passanten nehmen keine Notiz, nur einige wenige werfen einen flüchtigen Blick auf den nackten Buben, lächeln, gehen weiter.

Schauhaus, Festivalzentrum

Die Fassade des Orpheum ist hinter einer gewaltigen Holzkonstruktion verschwunden. Die Farbkombination aus Aubergine und Rot ist richtig schwer zu übersehen. Aus 1300 Quadratmetern OSB-Platten haben Michael Rieper und Irina Koerdt hier ein „Schauhaus“ für den steirischen herbst aufgezogen, eine vielseitige temporäre Struktur, die eine „Raumsituation zwischen Ordnung und Unordnung“ schafft. Michael Rieper hat Erfahrung mit derlei Orten, die den Alltag verfremden. Schon 2003, als die Kulturhauptstadt für eine Inflation monumentaler Kunst sorgte, hat er im Projekt „Surface“ eine schlaue alternative Wohn- und Partystruktur rund um das Palais Thienfeld gelegt.
Das Schauhaus ist aber nur das augenfälligste Zeichen dafür, dass der herbst dieses Jahr vehement in den Stadtraum drängt. Als Sabine Breitwieser gebeten wurde, eine Kunstschau für das Festival zu kuratieren, war für sie der Schritt in den öffentlichen Raum naheliegend. „Ich wollte zu den Wurzeln des steirischen herbst zurückgehen“, erzählt Breitwieser, die gerade noch ihrer großen Ausstellung „Modernologies“ in Barcelona den letzten Schliff verpasst hat.
Tatsächlich war es immer wieder der steirische herbst, der die Kunst in die Stadt getragen hat – schon in seinem Probejahr, 1967, als die Dreiländerbiennale Trigon erstmals die Wiese vor dem Künstlerhaus in eine Ausstellung mit einbezog und die Grazer mit Architekturutopien verstörte. Oder mit der Schau „Bezugspunkte 38/88“, die Graz einen regelrechten Kunstskandal eintrug, als Neonazis Hans Haackes Mahnmal an der Mariensäule abfackelten.
Zehn künstlerische Positionen an fast zwanzig Orten hat Breitwieser für „Utopie und Monument“ ausgewählt und nicht selten gegen behördlichen Widerstand durchgesetzt. Passend zum Motto des herbst – „Was gilt, wenn alles gleich und gültig ist?“ – ist diesen Arbeiten gemein, dass sie nach der Gültigkeit von Kunst in einer vom Kommerz bedrängten Öffentlichkeit fragen. Auch ästhetisch soll die Kunst wieder Flagge zeigen, meint Breitwieser. „Soll man das den Experten für Stadtmarketing und dem Handel überlassen, oder sollen und können dazu auch Künstler etwas beitragen?“

Platz der Freiwilligen Schützen
Vor dem Bad zur Sonne, keine fünf Minuten vom „Schauhaus“ entfernt, baut der Verein zur „Entwicklung und Erforschung zeitgenössischer Ausdrucksmittel“ (EEZA) ein zentrales Werk für „Utopie und Monument“ auf: den „Pavillon“ der „Kooperative für Darstellungspolitik“. Ja, verwirrend.
Der Architekt Jasko Fezer von der Berliner „Kooperative“ hat detaillierte Pläne für den Pavillon nach Graz geschickt – sogar der Abstand der Bodenfugen ist vorgegeben. Der Pavillon, sagt Fezer am Telefon, soll eine Chronologie zur Kunst im öffentlichen Raum bieten, auf den gelben Schalungsplatten sind fünfzig historische Positionen dokumentiert – vom Sturz der Napoleon-Statue durch Mitglieder der Pariser Kommune im Jahr 1871 über Hartmut Skerbischs zeitloses „Lichtschwert“ bis hin zur „Chance 2000 für Graz“ von Christoph Schlingensief, der die Stadt damals zur „Sandlerhochburg“ erklärte. Am Ende, sagt Fezer, soll hier ein robuster öffentlicher Ort entstehen, der auch der Kunstlogik Raum gibt, so etwas wie eine „Galerie ohne Dach“.
Fast täglich schicken die Kunstarbeiter des Vereins EEZA nun Fotos vom Baufortschritt nach Berlin. Sobald sie hier fertig sind, werden sie noch die Fassade des Rathauses mit einem Vorhang verfremden und darauf achten, dass nichts schiefgeht, wenn Andreas Siekmann seine Riesenkugel aus Tourismus-Maskottchen samt sieben Tonnen schwerer Schrottpresse in den Landhaushof hieven lässt. Doch, es mache Spaß, in der Öffentlichkeit zu arbeiten, sagt Jakob Pock von EEZA. Außer es beschwere sich wieder einmal jemand. Wie jüngst die Frau, die sich beim Parken gestört fühlte: „Hier“, hat sie den Arbeitern gesagt, „habe ich für die Kunst keine Zeit.“

Volksgartenstraße
Viel Zeit hat sich der für sein Projekt genommen. „Annenviertel“ startet mit dem herbst, geht aber insgesamt über zwei Jahre. An den Wänden des Kunstvereins entsteht gerade in roten Lettern der Schriftzug „Annenviertel! Die Kunst des urbanen Handelns“. Seit Monaten schon erforschen Künstler das Viertel, nehmen Kontakt zu sozialen Initiativen auf, um nach und nach Projekte sichtbar werden zu lassen, die das Wachstum des von Zuwanderung geprägten Stadtteils künstlerisch begleiten wollen.
„Öffentlicher Raum bedarf der Zeit, wenn man es richtig macht“, sagt Makovec, die mit Anton Lederer schon seit einem Jahrzehnt die Möglichkeiten von Kunst „im öffentlichen und sozialen Raum“ auslotet. Im steirischen herbst 1998 haben die beiden leerstehende Lokale in der Griesgasse temporär belebt, 2003 mit „Real*Utopia“ den gesamten Bezirk Gries in einen sinnlichen Spielraum für Kunst verwandelt.
Diesmal, sagt Makovec, gehe es nicht um Orte, sondern um die Menschen, darum, dass sie an der Stadtentwicklung teilhaben können. Die Kunst dürfe nicht für kurze Zeit ein Thema besetzen und dann wieder abziehen, ohne dass etwas bleibt: „Die Frage ist: Wie sehr haben Menschen etwas davon, dass sie sich beteiligen? Wie viel kann ein Künstler zurückgeben?“ Radio Helsinki wird also Community-Radio machen, der Autor Stefan Schmitzer die „Annenpost“ herausgeben, dazu gibt es Workshops, Grätzelführungen und künstlerische Interventionen – von Isa Rosenberger im Frauenservice etwa oder direkt auf der Straße, wo das brasilianische Kollektiv BijaRi einen alten Mazda mit Grün überwuchern lassen wird.

Kunst im öffentlichen Raum, Rondo
Werner Fenz weiß um die Fallstricke, die für Künstler gespannt sind, die im Stadtraum arbeiten wollen. Er kennt die Gefahren dauerhafter Stadtmöblierung ebenso wie die Tücken allzu flüchtiger Eingriffe, er kann von politisch verhinderten (Michael Kienzers „Duschbrunnen“), von behördlich verhunzten (Erwin Wurms Brunnen) und von heimlich zerstörten Projekten (Wolfgang Temmels Künstlerhaus-Rampe) erzählen und hat all das Wissen auch schon in ein Buch verpackt. 247 Kunstprojekte listet das Standardwerk„offsite Graz“, im Oktober wird es um ein Jahrbuch ergänzt, das die jüngste Arbeit des „Instituts für Kunst im öffentlichen Raum“ dokumentiert, das Fenz seit Gründung im Jahr 2006 leitet.
Seither steht jedes Jahr eine Million Euro für Kunst im öffentlichen Raum zur Verfügung, über deren Vergabe ein Fachbeirat wacht. „Es findet dadurch eine Demokratisierung gegenüber den Künstlern statt“, sagt Fenz. Die waren zuvor darauf angewiesen, dass wieder einmal ein „Kunst am Bau“-Projekt anstand, für das sie sich bewerben konnten. Heute können Künstler selbst Projekte einreichen, neben Kunstvereinen oder Gemeinden. Letztere hätten freilich, erzählt Fenz am gerade bezogenen Institutssitz im Rondo in der Keplerstraße, manchmal eigenartige Vorstellungen und wollten tonnenschwere Bronzekürbisse auf ihren Hauptplätzen aufstellen. Es gäbe dann ein aufklärendes Gespräch.
Das Institut kuratiert auch selbst – derzeit gleich drei Projekte zum steirisch-slowenischen Kulturaustausch und zwei im steirischen herbst („TextBild MMIX“, „(out)“). Angesichts der überhandnehmenden „Eventisierung“ des öffentlichen Raumes setzt Fenz gerne auf subversive Strategien. „Wir könnten gar nicht budgetieren, was Firmen da für einen Tag aufbauen“, sagt er. Er erinnert sich aber auch an eine Zeit, in der das Klotzen noch gewünscht war. Als er Intendant Wolfgang Lorenz einst vorschlug, im Kulturhauptstadtjahr alle Denkmäler aus dem Stadtpark zu entfernen, habe der ihm geantwortet: „Seien’s mir nicht bös’, aber bei mir muss es kleschen.“ Hat es dann ja auch. Und gar nicht schlecht.

Thomas Wolkinger