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Falter - 21.10.2009
Kaffee Hag für alle!
steirischer herbst, die letzte Woche: viel Liebe, nackte Zahlen und ein schöner Lebensabend

Der Donnerstag. So macht Wiedersehen Freude. Die argentinische Autorin Lola Arias, vor zwei Jahren mit einer schönen Trilogie beim herbst zu Gast, hat mit „Mi Vida Despuéss/Mein Leben danach“ eine der besten Theaterarbeiten des diesjährigen Festivals abgeliefert. Sechs Schauspieler um die 30 wühlen auf der Bühne in der Klamottenkiste ihrer ganz privaten Geschichte – die Kleidermetapher war ein wenig überinszeniert – und versuchen dabei, über das Erinnern an ihre Eltern zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur auch mit der doch ziemlich bewegten Geschichte ihres Landes und der eigenen Zukunft insgesamt zu Rande zu kommen. Klasse Soli und Gruppenaufläufe, ein Meerschweinorakel und richtig schlau integrierte Filmsequenzen. Wen das nicht rührt, der kann kein Herz haben. Um Herzensangelegenheiten ging es auch, als Arias anschließend – begleitet von Ulises Conti an der Gitarre – Lieder vom Lieben, vom Einsam-, vom Verletzt- und vom Glücklichsein zum Besten gab. Sogar in den Pausen, die Arias mit Liebesgeschichten aus ihrem jungen Leben überbrückte. Ganz schön bewegt.

Der Freitag. Die herbst-Bilanz der Intendantin – im „Hinterzimmer“ des Festivalzentrums. Veronica Kaup-Hasler zeigte sich erfreut ob der Resonanz der Projekte im öffentlichen Raum und ob der Begehrlichkeiten, die diese geweckt hätten. Bekanntlich wurden zwei Arbeiten geklaut – David Maljkovics an dieser Stelle bereits gelobtes „Monument für Graz“ am Karmeliterplatz und ein Transparent von Boris Šribar am Südtirolerplatz. Ob das schon ein Qualitätsbeweis ist? Die nackten Zahlen 2009: 222 Einzelveranstaltungen (ein Plus gegenüber 2008), 93,98 Prozent Auslastung (-), 46.886 Besucher (+), mehr als 600 teilnehmende Künstler (=), 182 Journalisten (-1). Auf einen Journalisten kamen folglich 258 Besucher. Der Aufwärtstrend hält an. Pro Zuschauer standen 0,0128 Künstler zur Verfügung, die aus deutlich mehr Ländern kamen als in den letzten Jahren. Wir begrüßen diese Entwicklung, fordern weiterhin ein Verhältnis von 1:1.

Eine schöne Überraschung nachmittags in der ESC, die acht Künstler beauftragt hatte, sich etwas Schlaues zu Walter Benjamins Satz „Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe!“ einfallen zu lassen. Das reichlich populistische Rufzeichen haben übrigens die Kuratoren dazugedichtet, gegen die man den Vorwurf billiger Anbiederung sonst nur schwer wird erheben können. Super: Peter Brandlmayrs Wittgenstein-infizierte Performance „Ich bin meine Welt“, die auf drei schäbigen Monitoren dokumentiert ist. Im Nebenraum die traurigen Reste der Grenzüberschreitungen – die Asche einer Bücherverbrennung, ein weißer Anzug, ein zertrümmerter Sessel. Auch gut: Sandy Stones Erkenntnis, dass die echten Katastrophen immer dort lauern, wo man sie am wenigsten vermutet: in einem selbst.

Der Samstag. Hätte das Festivalzentrum im Orpheum jeden Tag so gut funktioniert, man hätte gar keinen Grund zur Klage. Nachmittags fanden sich zwanzig Neugierige ein, um mit Jessyka Watson-Galbraith im „Schauhaus“ so etwas wie eine „Chorus Line“ für die DIY-Rockoper „Super! Power!“ einzustudieren, deren finale Version nächstes Jahr am Berliner HAU zu sehen sein soll. Ein großer Spaß zwischen Volks- und Ausdruckstanz. Zum Generationenfest geriet dann die Premiere von Julia Laggners Film „Heim ist nicht daheim“, der die Arbeit von uniT mit den Senioren des Pflegeheims St. Peter dokumentiert. Volles Haus. Und Marmorgugelhupf und Kaffee Hag für alle!

Weniger gut: die letzten performativen Arbeiten. Mit der Doku-Installation „Moskau“ hat sich das belgische Kollektiv Berlin klar übernommen. Trotz pompösen Rahmens – sechs mobile Screens plus Kammermusikquintett plus rotes Riesenzelt im Volksgarten – blieben die Filmchen ohne Wirkung. An „Bonanza“, vor zwei Jahren im herbst, hatte gerade die bescheidene Inszenierung einer soliden Recherche begeistert. Total unfertig: Hooman Sharifis Tanzskizze „Lingering of an earlier event“ im Dom im Berg, die sich nicht zwischen animalischer Bewegungsstudie und Gesellschaftsutopie entscheiden konnte, vorsorglich aber einen Zusammenhang zwischen beiden behauptete. Schwindel!

So schön ging’s zu Ende: GoldieLocks rockte mit poppigem Grime das Haus, das einst „der Jugend“ zugeeignet war. „Lil’ bit of Liquor“, meinte die Dame aus Croydon. Klar: Kaffee Hag war da längst nicht mehr das Getränk der Stunde.

Thomas Wolkinger