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Falter - 14.10.2009
Sukkulenten-Streicheln am Lagerfeuer
steirischer herbst, die dritte Woche: die vielen Tücken der Interaktion und ein total einsamer Höhepunkt, spät in der Nacht

Der Donnerstag. Medienkunst hat es schon mal leichter gehabt. Das Problem: Der erhöhte technische Mitteleinsatz in der Produktion löst eine deutlich gesteigerte Erlebniserwartung in der Rezeption aus. Wer sich also wie derzeit im Medienkunstlabor zunächst durch eine Bedienungsanleitung quälen, dann einen ziemlich unschicken „Joystick“ auf dem Kopf montieren muss, der dann im Labor selbst durch eine mikrogerüstete Membran zu stecken ist, darf sich als Lohn für die Pein schon ein Scheibchen echten Cyberspace à la Neal Stephenson erwarten. Nichts da. Man hätte den Raum, den Sylvia Eckermann und Gerald Nestler zur Installation „The Trend is Your Friend“ verdichten wollten, um wahren Werten auf globalisierten Märkten nachzuspüren, jedenfalls auch gerne erlebt, ohne dabei ständig und ohne entscheidende Effekte „Buy, buy, buy“ brüllen zu müssen.
Ja, misstrauen wir der Interaktion. Überall dort, wo sich die Kunst aus dem gewohnten Bühnen- und Rezeptionskontext wagt, um unmittelbarere Wirkung zu entfalten, wird es haarig. Das war auch in der Reihe „Touch this Sound!“ zu erleben, mit der das musikprotokoll im Dom im Berg startete. Bei GX Jupitter-Larsens Ionen-Kanone etwa, die das Publikum ganz wörtlich elektrisierte und jede Menge Haupthaar zu Berge stehen ließ. Deutlich weniger futuristisch, aber ebenso verstrahlt geriet die Performance der Lucky Dragons – so hieß übrigens ein japanisches Fischerboot, das einst am Bikini-Atoll radioaktiv verseucht wurde. Und doch kam beim Mitmachmusizieren mit Anfassen, beim Sukkulenten-Streichel-Videos-Schauen und Gemeinschaftsrasseln so etwas wie Stimmung auf. So ähnlich muss das sein – am letzten Lagerfeuer der Geschichte der Menschheit.
Der Freitag. Mit Federico Leóns minimalistischem, aber okayem Theaterloop „Yo en el futuro“ (siehe Kritik unten) fiel das herbst-Theaterprogramm eher bescheiden aus. War ja auch die Woche des musikprotokolls, das abends in der List-Halle gleich mächtig klotzte und sein Programm mit Klangforum und ensemble recherche um mehrere Stunden überzog. Da konnte es schon passieren, dass man das Beste verpasste – angeblich war das Rebecca Saunders’ „murmurs“. Ein seltsamer, ein lauer Abend. Wer in der zweiten Pause zurück ins Festivalzentrum hetzte, wurde mit den letzten Takten des Popduos „It’s a musical“ belohnt. Vor allem aber mit dem glücklich-scheuen Lächeln junger Menschen beim Musizieren. War in der List-Halle nicht so oft zu sehen.
DerSamstag. Die „Konferenzder Wahlverwandtschaften“ zum herbst-Thema „All the Same“ klang wie eine gute Idee, kam aber nicht an frühere Diskursveranstaltungen heran – an das „Wörterbuch des Krieges“ etwa oder gar die guten alten Symposien der Frühzeit. Tanzquartier-Denkerin Krassimira Kruschkowa startete den Referatsreigen und steuerte dabei auch das schönste Zitat bei: „Wenn wir zitieren, dann nur aus Liebe“, zitierte sie Guattari und Deleuze. Es wurde sehr viel geliebt an diesem Vormittag.
Einsamer Höhepunkt dieser herbst-Woche, ja, des gesamten bisherigen Festivalprogramms: Bernhard Langs „Seven Last Words“ spätabends bei den Minoriten. Der Pianist Marino Formenti versetzte das Publikum – zunächst mit Langs „Monadologie V“, anschließend mit Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ in der Mariahilferkirche – derart souverän in einen Gemütszustand zwischen religiöser Versenkung, Verzückung und revolutionärer Empörung, dass man am Ende nicht mehr wusste, wo einem die Ohren standen. Unerhört!

Thomas Wolkinger