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Falter - 07.10.2009
Zwischen Panikothek und Paranoiabar
steirischer herbst, die zweite Woche: Es war die Katastrophe, meine Lieben. Und: Wie der Autor Jörg Albrecht die Welt sieht

Der Donnerstag.
Der Berliner Theaterautor und Brinkmannianer Jörg Albrecht, der in Graz gerade in die Dramatikerschule geht (als hätte er es nötig), ist nicht nur ein großartiger herbst-Blogger, sondern auch ein fleißiger herbst-Besucher. Es ist ja nicht mehr selbstverständlich, dass die, die im Netz und anderswo die Welt zu Text gerinnen lassen, sich zuvor auch ein Bild von ihr gemacht haben. Albrecht tut das, und unter randnotizen.steirischerherbst.at legt er Zeugnis davon ab – mittels fotografischer „Katastrophenübungen“, rasanter Clips oder schlauer Lektüren des Films „Lost in Translation“. Tolle Texte für eine Welt zwischen „Panikothek“ und „Paranoiabar“. Am Donnerstag war Albrecht bei den super Ingvartsen-Premieren im Mumuth (Kritik S. 50) und hat dann in seinem Blog über Kälte- und Wärmeelemente in beiden Choreografien geschrieben. Stimmt! Ist mir gar nicht aufgefallen.

Der Freitag. Bei Mette Ingvartsen war die Apokalypse nur ein bedrohlich mitschwingender Subtext, bei „Void Story“ von Forced Entertainment, das im Festivalzentrum lief, ist außer Katastrophe wenig los (Kritik S. 50). Immerhin! Ein wenig lang war’s auch, aber „Half Life“ oder „Doom“, an die man sich erinnert fühlen konnte, entfalten ihr spielerisches Gift ja auch nicht in einer Stunde.
In den Grenzbereichen von lustig war dann auch Antonia Baehrs Performance im Dom im Berg unterwegs. Obwohl die mit „Lachen“ betitelt war. Baehr hatte sich zum Geburtstag Lachpartituren von ihren Freunden gewünscht und diese zunächst schön streng vorgetragen. Irgendwann hat sich der Spaß aber aufgehört, Lachen ist schließlich auch nicht nur lustig. Vielleicht waren es aber auch die Kicherechos im Publikum. Beide Arbeiten hätten eigentlich auch ganz gut ins letztjährige Festival gepasst, da wurde, wir erinnern uns, erforscht, ob und allenfalls wie sich denn die Welt noch retten ließe. Heute ahnen wir: Nein, das ist wohl nicht möglich. Den unbeschwerten Soundtrack zu dieser Erkenntnis lieferten nachts die Woog Riots in kleinem Kreis im Festivalzentrum.

Der Samstag. Gut, die Katastrophe ist kein Spiel. Warum sie uns dennoch oft gleichgültig lässt, hätten Ausstellung und Symposium zum ökologisch-sozialen Wahnsinn, den internationale Ölkonzerne im Niger-Delta entfacht haben, erhellen können. Hätten. Die Foto-Ausstellung im Forum Stadtpark ist derart auf die Oberflächenästhetik des Schreckens fixiert, dass differenziertere Blicke auf die Blicke, die wir auf die Welt werfen, eher behindert werden. Das Symposium zu „Real Energy World“ hat dann einiges gutgemacht. Der Kurator und Fotograf Akinbode Akinbiyi – der erste Camera-Austria-Abonnent ever – verwies auf Fotografen aus Nigeria, die außerhalb der massenmedialen Erregungsmaschine arbeiten. Und Camera-Austria-Chefin Christine Frisinghelli las in ihrem Vortrag den Organisatoren ganz dezent die Leviten und zeigte anhand vieler schöner Beispiele von Allan Sekula bis Pierre Bourdieu, wie sich das Reale künstlerisch fassen ließe. Was echt nicht geht: Dass bei einem Symposium über Bildpolitiken verzerrte Fotos projiziert werden.
Im Festivalzentrum war dann wieder alles Erdbeerland. Fritz Ostermayer, Naked-Lunch-Sänger Oliver Welter und der Künstler Hans Schabus haben sich als „The Very Pleasure“ an einem Crossover aus Alpentrio Tirol, Johnny Cash und Kraftwerk versucht. Mehr war nicht. Zum Abschluss nochmal Jörg Albrecht: „Irgendeine Geschichte muss das doch können: Panik in den Raum schießen, schöne Panik, die allen hilft, außer sich zu sein, momentlang.“

Thomas Wolkinger