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Die Presse am Sonntag - 20.09.2009
Architektur auf Zeit
Sie schlagen nur für wenige Wochen Wurzeln. Sie tauchen vermehrt bei Festivals auf. Und jene, die sie auf die Beine stellen, sehen sie mehr als Bühnenbild denn als Architektur: temporäre Gebäude.

Wäre es nach seinen Erfindern Michael Rieper und Irina Koerdt gegangen - das "Schauhaus" stünde ganz in Weiß vor dem Grazer Orpheum. So aber, überzeugt von Pflegeleicht-Argumenten angesichts der steirischen herbstlichen Witterung, verdeckt das Objekt in Rot und Aubergine das Veranstaltungsgebäude, das heuer das Festivalzentrum stellt. Auch schön.

Hier im Schauhaus wird der Besucher des steirischen herbst also bald seine Drinks nehmen, sich zwischen den Events austauschen und sich wie auf einer Bühne fühlen. Denn der neue Bau ist denkbar offen, luftig und gut durchlüftet, und leicht bespielbar: Dem alteingesessenen Orpheum blendeten Rieper und Koerdt eine kühne temporäre Architektur mit mehreren Etagen und zwölf Metern Höhe vor. Gerade so hoch, dass seine letzte Ebene gleichauf mit dem großen Orpheum-Balkon ist. Ganz oben befindet sich ein Sonnendeck mit Blick über die Dächer von Graz, ganz unten ein "herbst"-shop, der als Einziger abgeschlossen werden kann. Bar, Bühne, Treffpunkt - Absicht der beiden Architekten ist auch, die Besucher über das Schauhaus in das Orpheum hineinzuleiten.

"Einen permanenten Bau dürfte man nicht drei Meter vor einen anderen setzen, aber bei einem temporären Gebäude geht das", sagt Rieper. Grundsätzlich biete temporäre Architektur die praktische wie (nachhaltig gesehen) preiswerte Option, "Dinge auszuprobieren, die sonst nicht möglich sind". Wobei sich die Frage stellt, ob es sich da im klassischen Sinne um Architektur handelt. Nicht wirklich, "es ist vielmehr ein Bühnenbild". Und damit flüchtig. Mit dem Unterschied, dass die Akteure die Besucher sind, die es beleben, benutzen oder - wie Rieper mit seinen Projekten erfahren hat - manchmal täglich besuchen. Auf jeden Fall, das zeigt die Praxis der nomadischen steirischer-herbst-Zentren über all seine Festivaljahre, wird im Schauhaus laufend Betrieb sein; mehr oder weniger unabhängig davon, ob im Orpheum gerade Veranstaltungen stattfinden. Für dieses hatte der steirische herbst ursprünglich auch einen Architekten-Wettbewerb veranstaltet - um das Achtzigerjahre-Gestaltungsdesaster an dem einstigen Varietetheaterbau wenigstens oberflächlich zu beheben. Die Schauhaus-Lebenszeit ist kurz: eine "herbst"-Periode (25.9.-18.10.) lang, dafür intensiv genutzt ab zehn Uhr täglich, bis es wochenends um drei Uhr dicht macht.

Ein bisschen schade. Öffentliche Gebäude (und das Schauhaus ist ein solches auf Zeit) müssten eigentlich rund um die Uhr zugänglich sein, ist Rieper überzeugt, der seit Jahren temporäre Architektur- beziehungsweise Kunstprojekte im öffentlichen Raum plant - etwa in Wien 2005 das "add on" auf dem Wallensteinplatz, eine Installation über 20 Meter Höhe. In das riesige Baugerüst schoben Rieper und seine Architekten-Kollegen Veronika Orso und Peter Fattinger Plattformen mit Gastgarten, Wohnwagen, Whirlpool und Küche ein - und belebten diese Skulptur, indem sie die unterschiedlichsten Interessensgruppen hereinholten, die "add on" dann bespielten. Eine Idee, die das Trio bis vor Kurzem beim Projekt "Bellevue. Das gelbe Haus" im Zuge von Linz 09 erfolgreich ventilierte, allerdings unter ganz anderen optischen Vorzeichen: Ein knallgelbes Haus mit solidem Satteldach und wie gebaut für die Ewigkeit, aber mit einem Ablaufdatum von wenigen Monaten stand bis vor Kurzem auf einem etwas entrischen Platz - der Einhausung der Stadtautobahn am Bindermichl/Spallerhof.

Leid tue es einem schon, sich von einem temporären Objekt zu verabschieden. Am Beispiel von Bellevue habe sich zum Beispiel gezeigt, was ein permanentes Kulturzentrum dort alles abdecken könnte: von Anfang an volles Haus, und zwar gar nicht nur von den avisierten Zielgruppen besucht, sondern auch von jenen, die Kultur oft wenig erreicht - Landbevölkerung, anfangs skeptische Politikvertreter, Anrainer. Angenommen und genutzt haben es alle, von der Ziehharmonika-Übungstruppe bis zur Hip-Hop-Formation Texta.

Um das Programm im Schauhaus brauchen sich Rieper und Koerdt nicht zu kümmern. Man sei "nur" in der Architektenrolle und müsse maximal darauf achten, dass "die Steigung der Stiegen der Norm entspricht". Anders als bei Bellevue, das Fattinger, Orso und Rieper nach jahrelanger Planung auf die Beine stellten - eben auch als Bauherren. Was bedeutet: Kosten berechnen, Mittel aufstellen, Veranstaltungsprogramm ausdenken und begleiten, Behördenwege erledigen, Genehmigungen einholen, Marketing - mit ganz anderen Vorlaufzeiten als beim Schauhaus. Weil Bellevue mehr als drei Monate lang Wurzeln schlug, musste das Architektentrio überdies von einer Stahlkonstruktion als Unterbau absehen und noch einmal eine längere Umplanungsschleife einlegen. Der Abriss ist nicht immer das Ende, Bellevue inkarniert nach seinem Ableben: in Einzelteilen, die die Material-Sponsoren zurücknehmen. Die verwitterten gelben Holzriegel werden Verschalungsplatten. Und das Satteldach soll bei einem Steckerlfisch-Gastronomen Einsatz finden.

Die Projekte - Linz, Graz, Wien

Schauhaus: Temporäre Architektur hat beim steirischen herbst Tradition. In den 90ern wollte man eine mobile Halle für das Festival entwickeln, das "intelligente Zirkuszelt" wurde aber nicht realisiert. Das Festivalzentrum wandert von Jahr zu Jahr. Heuer: Schauhaus/Orpheum. www.steirischerherbst.at.
Michael Rieper gehört zum harten Kern des Kollektivs "MVD Austria / frank, rieper", das mit wechselnden Partnern Projekte im öffentlichen Raum konzipiert. "Schauhaus" entstand gemeinsam mit Irina Koerdt; "Bellevue. Das gelbe Haus" und "add on. 20 Höhenmeter" in Wien mit Veronika Orso und Peter Fattinger, www.mvd.org

Madeleine Napetschnig