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Süddeutsche Zeitung - 09.10.2009
100 % Konzept
Sperriger Auftakt beim Festival Steirischer Herbst in Graz

Wirklich öffentlich ist der Raum zuerst einmal nicht, den Heine Røsdal Avdal und Brynjar Åbel Bandlien da bearbeiten. Der schwarze Boden ist mit weißen Blättern geometrisch ausgelegt. Nach und nach sammeln die beiden einige Reihen der weißen Blätter ein und bahnen sich verschlungene Wege, um irgendwann auf der anderen Seite bei den Zuschauern anzukommen. Die werden nun ihrerseits in den Theaterraum eingelassen, wandeln selbst im Labyrinth und beobachten schließlich von ihren Sitzen aus die Performer, die immer neue Pfade entstehen lassen, als seien sie digitale Pfadfinder auf der Festplatte eines Computers. Gegen Ende nimmt das eine unverhoffte Wendung. Avdal und Bandlien verteilen Schachteln. Man öffnet sie und blickt auf Miniatur-Interieurs, die aussehen, als seien binäre Bildcodes ins Dreidimensionale übersetzt worden.
"You are here" der belgisch-norwegischen Gruppe deep blue machte den Auftakt des diesjährigen Steirischen Herbstes. Dass das wichtigste europäische Festival für Projekte jenseits aller Gattungen und Sparten unter Umständen etwas Falsches eingeladen haben könnte, kann man nicht behaupten. Tatsächlich beeindruckend ist derart karges Konzepttheater allerdings auch nicht, obwohl man im Programmheft nachlesen kann, bei dem Ganzen handle es sich um "43% Blackbox, 32 % Performance und 25 % Spiel". Solche Mengenangaben sind eher spielerisch gemeint und ein ironischer Reflex auf die Sehnsucht, immer alles einordnen zu wollen, auch wenn gerade im Fall von performativer Kunst Kategorisierungen nicht weiterhelfen.
Man kann das Ganze allerdings auch als Quizvorlage verstehen und sich fragen, was zum Beispiel mit "41,4% Realität, 17% Gebetsruf und 41,5% Theater" gemeint sein könnte. Richtig! Es handelt sich um Stefan Kaegis "Radio Muezzin", in dem der Rimini Protokollant vier der rund dreißigtausend Muezzine auf die Bühne bringt, die in Kairo zur Lobpreisung Allahs singen. Nach einigen europäischen Festivals ist die lebende Klanginstallation nun in Graz angekommen, musste dort allerdings mit drei Muezzinen auskommen. Der vierte, seines Zeichens Vizeweltmeister im Koran-Rezitieren, verabschiedete sich wohl nicht zuletzt deshalb, weil das ägyptischen Ministerium für religiöse Angelegenheiten das Projekt nie wirklich billigte und er zu den Auserwählten zählt, die künftig per Radio in die Moscheen übertragen werden sollen.
Das Gebet im öffentlichen Raum ist dann doch nicht so öffentlich, um im Westen vorbehaltlos Kunst daraus machen zu können. Das gilt auch deshalb, weil der öffentliche Raum des Abendlandes so frei nicht ist, wie man das gerne hätte. Sind die Plätze, kommunalen Gebäude und Parks in europäischen Städten nicht schon längst nur Objekte ökonomischer Interessen, fragt "Utopie und Monument I", eine von Sabine Breitwieser kuratierte Bespielung des Grazer Stadtraums. Sie hat zehn Künstlerinnen und Künstler eingeladen, um herauszufinden, wie es in Zeiten fortschreitender Privatisierung kommunaler Aufgaben um die Kunst im öffentlichen Raum steht. Nicht wirklich gut, vermutet man und wendet sich unter anderem Andreas Sieckmanns Installation "Trickle Down" im Innenhof eines Grazer Renaissance-Ensembles zu.
Sieckmann formte dreizehn jener Kunsttiere zu einer einzigen großen Kugel, mit denen europäische Städte sich selbst werbewirksam dekorieren. Aus dem Marketingobjekt ist nach der Behandlung in der Containerpresse ein voluminöser Kunstklumpen geworden. Gezeichnet ist das Ganze übrigens mit "61% Bildende Kunst, 39% Öffentlicher Raum".

Jürgen Berger