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Der Standard - 08.10.2009
Ich und ich, im wirklichen Leben ...
Theorie zur Praxis: Das leidige "Subjekt"-Problem

Gesetzt den Fall, wir wüssten auch wirklich zweifelsfrei Bescheid, wen wir meinen, wenn wir zuversichtlich "ich" sagen: Für die Denker des Steirischens Herbstes - etwa den Philosophen Marcus Steinweg - fängt das Problem mit der Nennung des Subjekts überhaupt erst an.
Nur wer das Subjekt als jene Instanz begreift, die vorgibt, mit sich selbst identisch zu sein, der vermag auch den Begriff der "Gleichheit" zu denken. Wer hat nicht aller behauptet, wir Subjekte wären arme, weil fremdbestimmte Würstchen: Die Materialisten (vulgo "Marxisten") erklärten unser Selbstbewusstsein sogar zum Ausdruck unserer Klassenzugehörigkeit.
"Gleichheit" gedeiht im Licht einer solchen Vorschreibung nur dann, wenn die Klassengegensätze überwunden worden sind. Weil aber die Antagonismen nicht durch gutes Zureden, sondern allein durch die "Diktatur des Proletariats" überwunden werden können, renkt sich die fromme Linke noch heute die Augen nach der Arbeiterschaft aus. Wo ist es abgeblieben, das altehrwürdige Subjekt der Geschichte? Wer so fragt, wird durch die Lektüre von herbst - Theorie zur Praxis flugs eines Besseren belehrt.
Man beklagt zwar die Undurchlässigkeit eines Systems ("soziale Marktwirtschaft"), das trotz vollmundiger Versprechungen den egalitären Gedanken der Chancengleichheit gezielt hintertreibt (man lese dazu den Beitrag des Elitenforschers Michael Hartmann). Wer aber heute politisch philosophiert, bricht längst andere Mauern nieder. Subjekte halten sich dem Chaos gegenüber offen, sagt Steinweg. Er schreibt: "Gleichheit im Sinne von Selbstgleichheit hat den Sinn, Resistenz gegen den dispersiven Selbstverlust des Subjekts in der Sphäre des Nichtsubjektiven aufzubauen, die der Bereich der Materie, der Objekte, der Geschichte oder auch des transhorizontalen Werdens ist."
Wer im Gestöber solcher Begriffsverkettungen seinen persönlichen Selbstverlust erlebt und sich ein wenig dispers fühlt, braucht noch nicht zu verzagen. Du und ich, meint Steinweg, seien allemal "minimalkonsistent".

Ronald Pohl