created with wukonig.com
Kurier - 27.09.2009
Lebensräume und Reibebäume
Kunst an allen Ecken von Graz; Warhol, seine Zeitgenossen und Nachkommen im Kunsthaus; Dokumentarisches in der Camera Austria.

Brauch' ma des?" heißt es immer noch, wenn zeitgenössische Kunst in den öffentlichen Raum drängt. In Zeiten der Wirtschaftskrise wandelt sich das Unverständnis der Passanten um in: "Hab'n des wir zahlt?" Früher wurden Denkmäler errichtet, um damit Feldherren, Politiker, oder Genies zu verehren. Heute stellt Kunst andere Ansprüche, sowohl an ihr Umfeld wie auch an den Betrachter. So spannungsgeladen die Auseinandersetzung mit dem fertigen Werk ist, so kompliziert ist meist der Weg dorthin. "Der öffentliche Raum ist ein wichtiger Lebensraum und Reibebaum für Künstler", weiß Sabine Breitwieser, Kuratorin von "Utopie und Monument" beim steirischen herbst. Abgesehen davon, dass man auf die jeweiligen Begebenheiten Bezug nehmen muss, gilt es meist, unzählige Auflagen und Vorschriften zu erfüllen. "Kunst im öffentlichen Raum ist immer auch zensuriert", weiß Breitwieser. Der von ihr konzipierte Kunst-Parcour in Graz umfasst zehn Stationen, eine davon ist ein von Dolores Zinny & Juan Maidagan errichteter Vorhang für den Eingang des Rathauses. Die Genehmigung dafür zu bekommen war fast unmöglich. Hinzu kommt, dass der Grazer Hauptplatz praktisch immer von Imbissbuden und Zeltfesten bespielt wird. So geht die künstlerische Intervention im bunten Treiben optisch fast verloren.
Warhol
Das Kunsthaus Graz eröffnete am Samstag die Ausstellung "Warhol Wool Newman - Painting Real". Warhol zieht immer. Um der Ausstellung eine zeitgenössische Berechtigung zu geben, stellt Kurator Peter Pakesch den Warhol-Bildern (aus den Jahren 1962 bis 1967) und den Werken von Barnett Newman die Sprachbilder des 1955 geborenen, international gefragten Künstler Christopher Wool gegenüber. Die Erkenntnis-Kraft der Schau mit ihren Querverweisen in Sachen Kommunikation und Weiterführung ist enden wollend. Deshalb hat der steirische herbst auch nur die Nebenschiene "Screening Real - Connor Lockhart Warhhol" in sein Programm übernommen. Die Gegenüberstellung der 16mm-Filme von Warhol ("Blow Job", "Kiss") und Bruce Conner ("A Movie") mit aktuellen Arbeiten der US-Künstlerin Sharon Lockhart ("Exit", "Double Tide") ist in der Tat weit spannender.
Camera Austria
Nachhaltig beeindruckend und auch das Thema des herbstes, "All the same?" treffend ist die Schau "Democracies - und andere Arbeiten" in der Camera Austria. Ohne zu kommentieren, zeigt Artur Zmijewski eine Reihe von kurzen Filmen, die bei politischen Willenskundgebungen und Menschenaufläufen entstanden sind. Neben Demonstrationen und Paraden sind genauso Bilder von der Fußball-WM oder von Jörg Haiders Begräbnis dabei. Ein kühner Rundumschlag, zu dem sich jeder seine eigenen Gedanken über Demokratie machen kann. Ebenfalls bewegend, aber ganz persönliche Bereiche ansprechend sind Zmijewskis Arbeiten im Nebenraum. Unter dem Titel "Selected Works" zeigt der 1966 geborene und in Warschau lebende Künstler Ausschnitte von 24-Stunden-Dokumentationen aus dem Alltag von Niedriglohnarbeitern: Dieter, der Baumaschinenfahrer. Ursula, die Putzfrau. Patricia, Mutter zweier Kleinkinder. Sie alle kämpfen nicht um Freiheit, Recht auf Abtreibung oder Frieden. Sie kämpfen um das tagtägliche Überleben.

Caro Wiesauer