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Die Presse - 26.09.2009
Dirty Harry leckt einen Nabel
Gegengift

Der Herbst ist ein Skandal. Jedenfalls war das früher so, wenn in der Steiermark die Avantgarde feierte. Da konnte sich der Bürger prächtig abreagieren, an den volkstümlichen Dramen des Wolfgang Bauer oder den Epigonen des Aktionismus. Heute aber hat es der "steirische herbst" schwer, Aufsehen zu erregen, das Festival ist längst etabliert, und um im Theater zu schockieren, muss man sich schon Drastischeres einfallen lassen als den "Magic Afternoon" von einst. Mit dem Exhibitionismus des Privatfernsehens kann die Kunst ohnehin nicht mithalten.
Wie gut also, dass es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Dort zelebriert Entertainer Harald Schmidt jetzt seine Show ohne den frechen Oliver Pocher. Wer aber dachte, der graue Bartträger würde es seriöser angehen, der hat sich getäuscht. Dirty Harry leckte Donnerstagabend Pochers attraktiver Exfreundin Monica Ivancan den Modelnabel! Fast live! Auf einem lederbezogenen ARD-Schreibtisch!
Nun, werden Kunstfreunde sagen, ist ja Kultur, es war für einen guten Zweck. Schmidt stellte zum 50. Jubiläum eine Szene aus "Die Blechtrommel" von Günter Grass nach, streute wie Oskar Matzerath Brausepulver in den Nabel der Schönen, spuckte drauf und leckte das Gebräu dezent auf, nicht einmal bis zur Neige. Ein wenig sabberte er dabei.
Wo aber bleibt der Skandal? Richtig fies von Schmidt war, dass sein eigentlicher Stargast, der sensible Theatermacher Claus Peymann, bei diesem flüssigen Kammerspiel zum Statisten degradiert wurde. Welche Schmach: Als Alternative wurde nämlich angeboten, dass Peymann wie Vater Matzerath ein Hakenkreuz verschluckte. Es wäre ohnehin nur aus Schokolade gewesen, aber das romantisch gestimmte Publikum entschied sich für den Nabel. So wurde Peymann, um den es recht ruhig geworden ist, ein kleiner Skandal geraubt. Im verschlafenen Graz hat man seinen Auftritt wahrscheinlich nicht einmal bemerkt.

Norbert Mayer