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Die Presse - 04.10.2009
Veronica Kaup-Hasler: "Liebe darf nicht blind machen"
In Widerspruch zu Thomas Bernhard findet Veronica Kaup-Hasler, dass man in Graz "unbedingt gewesen sein muss". Nicht nur wegen des "Steirischen Herbsts", den sie leitet.

"Was ist denn das?", wundert sich eine ältere Passantin. Mit leicht besorgtem Unterton will sie wissen, ob es das alte Orpheum (einen mittelgroßen Veranstaltungsort für Konzerte und Kabaretts in Graz, Anm.)nicht mehr gibt. Doch, gibt es. Nur hat der „Steirische Herbst“ den Vorplatz raumfüllend mit einem knallroten, mehrstöckig bespielbaren Holzverbau in Beschlag genommen. Er beheimatet die diesjährige Festivalzentrale des Avantgardefestivals – und verstellt noch bis 18. Oktober die Sicht auf das Orpheum. „Na dann“, ist die Passantin beruhigt. „Aber ich find' das eh nicht so schlecht“, zeigt sie vorsichtige Sympathien für die Installation.

Reaktionen wie diese beglücken Veronica Kaup-Hasler. Sie beweisen, dass ihre Idee auf fruchtbaren Boden fällt. „Wir wollen mit diesem ,Kunstwerk auf Zeit‘ ein Zeichen setzen, das Lust macht, sich damit auseinanderzusetzen, und zeigt, was durch temporäre Kunst nachhaltig verändert werden kann“, begründet die „Herbst“-Intendantin den Bau und blickt zufrieden von einem der vorgelagerten Gastgartentische auf das dreistöckige Balkongerüst. Nachhaltige Architektur mit Ablaufdatum? „Man wird sich immer daran erinnern, dass da einmal etwas war.“ Sätze wie dieser klingen bei Kaup-Hasler nach Überzeugung, nicht nach schüchterner Hoffnung.

Dass das Konstrukt wieder wegkommt, steht – auch feuerpolizeilich begründet – fest. Für Graz keine Selbstverständlichkeit. Provisorien und temporär limitierte Bau- und Kunstwerke können hier erstaunliche Langlebigkeit entwickeln. Wie beispielsweise die für das „Europäische Kulturhauptstadt“-Jahr 2003 konzipierte und realisierte „Murinsel“ des New Yorker Stararchitekten Vito Acconci. Das optisch spektakuläre, aber nutzungstechnisch marode Stahlkonstrukt schaukelt noch immer in den Murwellen. Nicht zur Freude von Kaup-Hasler. Für sie ist die Insel im Fluss „Form einer falsch verstandenen Nachhaltigkeit“. „Eine interessante Pavillonarchitektur“, sinniert sie beim Spaziergang entlang der Murpromenade, „aber mit einer temporären Dimension“. Eine lebendige Stadt lebe nämlich von der Spannung, dass sie Dinge zwar ermöglicht, dass diese Dinge dann aber nicht zum Stadtmüll verkommen, sondern wieder verschwinden.

Seit 2006 leitet Kaup-Hasler den „Herbst“. Ebenso lange lebt sie in Graz. Mit kritischer Begeisterung für die offenen und verborgenen Qualitäten dieser Stadt, mit sturer Ablehnung für politische und soziale Unzulänglichkeiten: „Liebe darf nicht blind machen: Es gibt Teile, die ich sehr mag, aber andere Eigenschaften, die mir fremd sind.“ So gebe es „ein Maß an politischer Islamophobie, das traurig und bitter macht und gegen das man ankämpfen muss“, sagt sie und ortet eine durch „fatale Alternativlosigkeit“ gespeiste „Not an politischen Konzepten“: „Da hat Graz noch einen weiten Weg vor sich.“

Umgekehrt werde in ihrer Wahlheimatstadt dem Publikum ein kulturell dichtes Angebot auf hohem Niveau geboten. Es sei das Positive an der zweitgrößten Stadt: „Dass es diesen Ehrgeiz gibt, in bestimmten Bereichen besser zu sein, und man so Sachen schafft, die in Wien nicht denkbar wären.“

Per Fahrrad geht es weiter Richtung Bauernmarkt am Lendplatz. Die Stadtradlerin setzt auf ein Fabrikat aus ihrer engeren ostdeutschen Heimat. Der Drahtesel stammt aus Chemnitz. Aus dem „Zufall, weil es einfach nur ein gemütliches Bike ist“, sei später eine besondere Affinität entstanden.

Das Angebot der Direktvermarkter bringe Saisonales auf den Küchenplan. Das schätzt die „fortgeschrittene Slow-food-Konsumentin“ (Eigendefinition). Während sie in Sachen hochwertiger asiatischer Küche eine „drastische Unterversorgung“ feststellt, mag sie die sich Richtung mediterraner Küche öffnende Gastronomieszene oder Kleinode wie den Feinkostladen „Mild“ im Schatten der Herrengasse: „Ein außergewöhnlicher Ort, dessen schrullige alte Besitzerin stundenlang Balladen rezitieren kann und dabei einfache Hausmannskost serviert.“ Nicht nur deswegen widerspricht sie dem Thomas-Bernhard-Zitat, wonach man „in Graz nicht gewesen sein muss“, entschieden.

Klaus Höfler