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Die Presse - 26.09.2009
Lassen Sie sich ernst bespaßen!
Steirischer Herbst mit "Tempel der Vernunft" launig eröffnet.

Nicht mit Pauken und Trompeten, sondern mit einer Tuba und einem Blechhäfen als Glocke wurde Donnerstag in der Grazer Helmut-List-Halle der Steirische Herbst eröffnet. Der Häfen erinnert an das schmale Budget des findigsten österreichischen Festivals, geleitet von Veronica Kaup-Hasler. Sonst eher bei den Aufmüpfigen daheim, gab sich Kaup-Hasler beim Auftakt würdig und staatstragend, begrüßte viele Honoratioren beim Namen und mahnte die Neudefinition von Werten in der Krise ein. "All the same" heißt das Motto des heurigen Steirischen Herbst, was gilt, wenn alles gleich und gleich gültig ist oder überhaupt gleichgültig.
"All the same" könnte man aber auch als "immer dasselbe" lesen, jedenfalls bei der Eröffnung, bei der das Konzept des "Tempels der Vernunft" vom "Schwarzmarkt für nützliches Wissen" abgekupfert war, der bei den Wiener Festwochen gastierte. Experten geben über das Leben Auskunft, so das Modell. In der List-Halle konnte man durch die Kojen flanieren und schauen, hören: Ein Rechtsanwalt illustrierte anhand von roten und schwarzen Linsen die Abwicklung von Insolvenzverfahren. Ein ehemaliger Einbrecher, der die Seiten gewechselt hat und nun Sicherheitstipps gibt, bot Besuchern scherzhaft gemeinsame Einbrüche an. Den meisten Zulauf fanden die Philosophen Isolde Charim und Franz Schuh, der u. a. erklärte, dass ein "Tempel der Vernunft" ein Widerspruch in sich sei. Die eher leicht gehaltene geistige Nahrung wurde ergänzt durch gewichtige Köstlichkeiten: vom Linseneintopf bis zur Creme brulee, und freilich Leberparfait mit Zuckerguss. Die 200 Portionen dieses Gallentorpedos fanden keinen reißenden Absatz.
Mit einem Bombardement an Veranstaltungen macht der Herbst dieses Wochenende mit sich bekannt. Tipps: Der Pole Artur Zmijewski erkundet die oft erschütternden Zustände unter dem Etikett "Demokratie", die Schau "Real Energy World" konfrontiert Journalismus, Kunst und Realität in der krisengeschüttelten Nigerregion. So wird der Spaß doch noch zum Ernst beim Steirischen Herbst, der bis 18. Oktober dauert. Eine Reise nach Graz empfiehlt sich. Dort geht es manchmal innovativer zu als im kulturell und finanziell verwöhnten Wien.

Barbara Petsch