created with wukonig.com
Der Standard - 08.10.2009
Herzstücke aus neuen Klängen
Vielgestaltiges Labor der zeitgenössischen Musik: Das ORF-Musikprotokoll in seiner 41. Ausgabe

Von Herzen - möge es wieder zu Herzen gehn!" Seit Ludwig van Beethoven eine Partitur mit diesen Worten überschrieb, hat sich in der Musikwelt einiges geändert. Dennoch kann jemand leicht die unmittelbare Wirkung zeitgenössischer Klänge unterschätzen, der sich ihnen noch nie ausgesetzt hat.
Seit 1968 hat das Musikprotokoll, das kleine, aber exklusive Neue-Musik-Festival im Steirischen Herbst, das sich als "Labor und Katalysator der zeitgenössischen musikalischen Kunst Österreichs" versteht, markante Akzente im Musikleben dieses Landes gesetzt. Und das lange bevor man anderswo auch nur annähernd so aktuell über neueste Strömungen der Klangkunst informiert wurde. Immer noch ist dabei die Bandbreite der vertretenen Richtungen beachtlich: Neben dem unerhörten Experiment mit ungewöhnlichen Mitteln waren beim Musikprotokoll immer auch Komponisten vertreten, die scheinbar ganz konventionell mit Papier und Bleistift verfahren und dabei kaum weniger experimentelle Ergebnisse erzielten.
Beethoven hätte sich nicht träumen lassen, dass sein "von Herzen" irgendwann ganz wörtlich zu Musik würde. Aber genau das macht das Heart Chamber Orchestra, das das diesjährige Festival eröffnet: Während der Aufführung entsteht aus den Herzschlägen der Orchestermusiker eine Partitur, die selbst zu einer Art "lebendigem Geschöpf" wird. Denn sobald die Musiker spielen, verändert sich ihre Herzfrequenz, worauf sich auch die Partitur wiederum wandelt - ein wechselseitiger Feedback-Prozess, der seine eigenen, beim Hören staunend erahnbaren Gesetzmäßigkeiten entwickelt.
"Touch this sound" lautet das Motto, das das Musikprotokoll heuer begleitet - sei es im Medium der Klanginstallation, der Radiokunst oder im klassischen Konzert-Setting, bei dem auch in diesem Jahr die feinsten Spezialensembles des Landes ganz Neues vorstellen.
Dialoge mit Joseph H.
Das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien präsentiert sich erstmals mit seinem neuen Ersten Gastdirigenten Peter Eötvös und bietet Uraufführungen zweier der derzeit unkonventionellsten und eigenständigsten österreichischen Komponistengestalten: Olga Neuwirth hat gerade das Bratschenkonzert Remnants of Song ... an Amphigory abgeschlossen, in dem der Shootingstar Antoine Tamestit als Solist fungiert; Bernhard Gander lässt das Orchester als Lovely Monster "keuchen, krächzen, Schleim und Gift absondern".
Gleich mit drei Novitäten gastiert das Klangforum Wien, wie das ORF-Orchester ein traditioneller Gast beim Musikprotokoll. Der Spanier Mauricio Sotelo, der lange Jahre in Wien verbrachte und eng mit dem Ensemble verbunden ist, hat diesem das Stück Klang-Muro-for-Klangforum gewidmet; weitere Novitäten steuern Johannes Maria Staud und German Toro-Perez bei.
Historische Musik war der Ausgangspunkt für das neue Projekt von Bernhard Lang, das sich von Joseph Haydns Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze inspirieren ließ. Zu Haydns Zeit war die Komposition, die (fast) nur aus sieben Adagios besteht, kaum weniger experimentell als das, was Komponisten heute tun: Die Entdeckung der Langsamkeit des 20. Jahrhunderts, Ausgangspunkt für einen ganzen Komplex von kompositorischen Dialogen, hatte Joseph H. im Grunde schon vorweggenommen. Daher mag es aufschlussreich sein, neben den Transformationen Bernhard Langs - das Konzertstück Monadologie V - 7 Last Words of Hasan und eine Installation mit dem Pianisten Marino Formenti - auch die Originalkomposition hören zu können.
Der Aufschrei des Philosophen Walter Benjamin "Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe!" lässt sich somit keineswegs auf das Programm des Musikprotokolls anwenden; er bietet ihm aber das Motto für eine Kooperationsreihe mit dem ESC im LABOR. Diesmal positioniert Christine Clara Oppel in ihrer Performance talking landscapes klingende Lautsprecher auf die Wasseroberfläche des Teiches beim ORF-Funkhaus - eine Einladung, dem Lärm der Stadt zu entrinnen und zu lauschen, vielleicht auch einfach auf den Klang des eigenen Herzens.

Daniel Ender