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Wiener Zeitung - 13.10.2009
Spätfolgen eines harmlosen Kusses
Steirischer Herbst: Federico León lässt in Yo en el futuro die Ebenen von Film und Realität verschwimmen

Alte Super-8-Filme aus den frühen Fünfzigern, gedreht von Kindern. Die gleichen Leute haben in den Siebzigern, als Spielerei, dieselben Szenen nachgedreht. Und nun kommt der Argentinier Federico León und macht mit diesen unterdessen alten Menschen und aus ihrem Material ein Zeit-Vexierspiel als so gut wie dialogloses "Film-Theater". "Yo en el futuro" von Federico León erlebte seine Österreichische Erstaufführung beim "Steirischen Herbst" in Graz.
Ein Kuss zwischen zwei Kindern: Tändelei oder Übermut, halb ernste Nachahmung von Erwachsenen, erwachende echte Gefühle? Wer will das schon wissen? Und wer will sich überhaupt daran erinnern - vielleicht nicht einmal die beiden, wenn sie 15, 20 Jahre später nebeneinander auf einem Bett liegen und rauchen. Und noch einmal eine Generation später, wenn sie im Greisenalter zurückblicken auf diesen uralten Super-8-Film?
Schwindelig könnte einem werden, wenn man so in die Vergangenheit schaut und die Amateurfilme ruckeln und zuckeln - improvisiert eben wie so vieles, was sich an Unmöglichem findet in Kartons irgendwo am Dachboden.
Theaterzauber
León ist ein minimalistischer Theaterzauberer. Er stellt neun Protagonisten und ein Klavier auf die Vorbühne eines Kinos, lässt sie zappen und Filmszenen nachspielen. Es entstehen Vexierbilder. Auf der Bühne sind drei Vertreter je einer Generation. Schnell hat man heraußen, dass es dieselben Figuren sind. Sie tragen ja auch die gleichen Klamotten.
Echtes Material und Paraphrase sind gedanklich tollkühn, aber formal völlig unaufgeregt vermixt. Ganz wenige Worte nur, geradezu ein Nichts an Dialogen. Man schaut auf die Leinwand, man verharrt, man imitiert zaghaft oder spontan, lustvoll oder verlegen. Das will keine Geschichte sein und endet so beiläufig, wie es begonnen hat. Die leise Poesie von argentinischen Filmemachern à la Eliseo Subiela fällt einem spontan ein dazu - aber León ist ja wieder eine andere Generation (geboren 1975). Und vor allem ist er doch mehr Theatermann als Filmemacher, wenn auch im künstlerischen Crossover zuhause.
Gegen Ende der dreiviertelstündigen Performance gibt es eine Szene, da stehen plötzlich die Live-Darsteller vor sich selbst im Film. Aufnahmen von der realen Bühnensituation soeben, nun krebsläufig gespielt. Da kippen die Zeitebenen endgültig, das Reale verschwimmt mit den Film-im-Film-Verschnitten: ein Zeit-Ringelspiel.
Federico León ist kein Philosoph, der seine Ideen marktschreierisch vor sich her trägt und seinem Gegenüber Gedanken aufzwingt. Von ihm wird man sanft mit dem Finger angetippt und unaufdringlich dazu verleitet, über sich und seine Position in der Zeit nachzudenken. Gibt es, so sinniert der Besucher beim Nachhausegehen, von ihm eigentlich auch solche Super-8-Filme?

Reinhard Kriechbaum