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Kurier - 28.09.2009
Der Ruf der Rationalisierung
Kritik -"Radio Muezzin" von Stefan Kaegi im Festivalzentrum in Graz

Früher sollen Muezzine blind gewesen sein, damit sie die Privatsphäre ihrer Umgebung nicht verletzen. Diese Überlieferung sei aber offiziell nicht bestätigt, erklärt zu Beginn einer von drei Muezzinen - er selbst ist fast blind. In der Dunkelheit vertraut er auf Gott. Die drei Gebetsrufer aus Kairo haben sich bereit erklärt, mit dem Dokumentartheatermacher Stefan Kaegi einen Abend über ihr Leben, ihre Arbeit und ihre ungewisse Zukunft zu gestalten.
Vizeweltmeister
Ein vierter Teilnehmer ist vom Projekt "Radio Muezzin" ausgetreten: Der Vizeweltmeister im Gebetsrufen konnte den Druck innerhalb der für das Projekt gegründeten Gruppe nicht ertragen: Er ist nicht nur einer von 30.000 Muezzinen, sondern auch einer der 30 Auserwählten, deren Rufe künftig sechs Mal täglich via Live-Radio in Moscheen übertragen werden sollen. Mit dieser vielschichtig angelegten und bedeutsamen Produktion wurde am Freitag Abend auch das Festivalzentrum des steirischen herbstes eröffnet. Es ist heuer im Orpheum beheimatet, und die Architektengruppe "MVD Austria/frank , rieper" hat dem Theaterhaus zu diesem Zwecke ein temporäres "Schauhaus" vorgebaut. Aber zurück zu "Radio Muezzin": Kaegi (Rimini Protokoll) stellt hier Menschen in den Vordergrund, die dies nicht gewöhnt sind, und die auch in den landläufigen Debatten um Moscheen und Islam nicht vorkommen. Ihrem Glauben und ihrer Profession zu Folge dürfen sie auch nicht als Schauspieler auftreten, vieles - wie etwa Applaus anzunehmen - ist ihnen untersagt. Auch offizielle Stellen Ägyptens - z. B. das Religionsministerium - hatten ein wachsames Auge auf das Projekt. Auf den Videos, die hinter dem großen Gebetsteppich auf der Bühne flimmern und auch private Bilder der Muezzine zeigen, dürfen weder Müll noch Hunde noch Esel zu sehen sein. Auch Domino-Spielen und ähnliche Aktivitäten wurden untersagt. Man muss also die Fülle an Einschränkungen, unter denen Rimini Protokoll hier versucht, mit den Mitteln des Theaters fremdes Leben und unbekannte Schicksale zu vermitteln bedenken, um diesen Abend zu beurteilen. Hier wurde geschafft, was unter diesen Umständen möglich war. Der Verlust an Authentizität wird durch die fühlbare Bemühung, durch das übergroße Wollen wettgemacht.

Caro Wiesauer