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Kleine Zeitung - 28.09.2009
Kollektive Kindwerdung
Das belgische Künstlerkollektiv "deep blue" führt beim "steirischen herbst" zuerst in die strenge Kammer und dann ins unbeschwerte Glück.

Puh, das wird ein strenger Abend, denkt man unwillkürlich. Und zu Beginn der knapp 80 Minuten ist er es auch. Man steht am Rande einer Blackbox, deren Boden mit rund 1100 weißen A-4-Blättern ausgelegt ist. 56 alte Karteikästchen und 32 giftblasse Neonröhren versprechen auch kaum größeren Unterhaltungswert.
Nur zwei Protagonisten schickt das belgisch Künstlerkollektiv "deep blue" in dieses karge Ambiente. Und auch diese beiden tun alles dazu, dass man nach zehn Minuten mit dem Gähnen oder Gehen kämpft. Nach unerforschlichem Plan sammeln sie ganz gemächlich ein Blatt nach dem anderen ein. Im Feld der weißen Rechtecke entstehen dunkle Pfade, die an die Pac-Man-Spiele der frühen Elektronikjahre erinnern. - Das soll nicht das einzige Zitat bleiben.
Denn immerhin kommuniziert über den Häuptern der schweigsamen Blattsammler eine Leuchtschrift mit dem Publikum. Vorerst liest man dort die üblichen Satz-Embryos, die jeder kennt, der einen Computer nutzt: "refreshing copy", "possible conflict with older version", "description changed" u. ä.
Kubrick
Doch bald kommen auch sarkastische Mitteilungen, die an Stanley Kubricks legendären 2001-Computer Hal erinnern. - Erste Befreiungslacher im Saal.
Nach etwa einer halben Stunde packen die beiden Akteure die erwähnten Karteikästchen zusammen und reichen sie der Reihe nach ins Publikum. Die ersten Deckel werden hochgehoben, der Blick ins Innere mit Schmunzeln, später auch mit schallendem Lachen quittiert.
Anlass dazu sind in den Boxen befindliche Mini-Bühnenbilder mit Micro-Figuren. Mit einem ausgeklügelten Soundsystem wird den Schachteln akustisch Leben eingehaucht: Klopfen, Quietschen, Poltern. Man scheint ein ganzes Theater in Händen zu halten. Abstrakte Inhalte wechseln mit sehr konkreten. Doch niemals dominiert purer Jux: Poesie und Ironie sind in Balance.
Gegen Schluss des Weiterreichens herrscht heitere Stimmung im Raum. Man hat eine Art kollektiver Kindwerdung erlebt. Dass der Weg dahin über ein paar mühsame Schwellen führte, macht dieses Vergnügen noch leichter annehmbar.

Frido Hütter