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Kleine Zeitung - 25.06.2009
Auslotungen zwischen Zirkuszelt und Muezzinen
"All the same": Der steirische herbst bricht heuer zu den Polen "gleich gültig"/"gleichgültig" auf. Hier erste Reisevorbereitungen.

Der steirische herbst versteht sich ja als Echolot für Tiefen und Untiefen gesellschaftspolitischer Zustände und Veränderungen. Vielleicht war die Vorlaufzeit zu kurz, um durchaus zu erwartende Reflexe auf die aktuelle weltweite Krise zu zeigen. Aber indirekt geht es in der heurigen Version des Leitmotivs, für Veronica Kaup-Hasler "stets eine unerlässliche Fundierung unseres Arbeitsprozesses", doch um Ursachen und wohl auch Folgen für das so ungleiche globale Monopolyspiel von Gewinnern und Verlierern.

Auseinanderdriften der Gesellschaft. All the same" lautet das Motto. "Was gilt, wenn alles gleich und gültig ist?", fragt die Festival-Intendantin im Vorwort des neuen Programmheftes und versprach bei der gestrigen Präsentation starke Reaktionen auf das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Zwischen den Polen "gleich gültig" und "gleichgültig", zwischen Toleranz und Desinteresse soll hinterfragt werden, welche Werte und Maßstäbe es heute für die ja verfassungsmäßig garantierte Chancengleichheit von Menschen noch gibt.

"Tempel der Vernunft". In einen "Tempel der Vernunft" laden zur Eröffnung das raumlaborberlin und das Theater im Bahnhof; die List-Halle soll zum Umschlagplatz für die heißen Waren Rede und Antwort werden. Das Festivalzentrum wird heuer zum "Schauhaus": Architekt Michael Rieper setzt vor das Orpheum quasi ein offenes, begehbares Regal, das auch zum zentralen Theaterort des steirischen herbstes wird. Wenn von dort einmal keine Rockquartette klingen, sondern vier Muezzine, dann hat das mit dem Projekt von Stefan Kaegi/Rimini Protokoll zu tun. Graz darf ruhig Kairo werden.

Poetische wie politische Zugänge. Theaterimporte aus Argentinien von Fedérico Leon und Lola Arias bieten poetische wie politische Zugänge zum Thema Generationen. Ebenso um Generationen geht es bei einer Projekt-Einbindung des Caritas-Wohnhauses St. Peter oder im dritten Jahr des Kinderprogramms.

Monumente. Das "musikprotokoll" mit großen Orchester-Uraufführungen oder Bernhard Langs Auseinandersetzung mit Haydn, ein Moskau-Städteporträt im Zirkuszelt, eine Soloperformance über das Lachen, eine Theoriedisco . . . : herbst findet Stadt. Verstärkt auch im öffentlichen Raum, für den Sabine Breitwieser bildende Künstler zwischen "Utopie und Monument", also Zukunft/Scheitern und Vergangenheit/Gedächtnis, pendeln lässt. Die Kuratorin prophezeit für die auch 2010 geplanten "physischen Manifestationen im Außenraum": "Wir trauen uns auch was". Na, hoffentlich!


Michael Tschida